Politik

Baustelle Demokratie

Die repräsentative Demokratie funktioniert nicht so, wie sie funktionieren sollte. Vielen jungen Österreichern fehlt teilweise die Bereitschaft zum Engagement. Der Ruf nach mehr direkter Demokratie ist ein Ansatz – aber nicht die Lösung für alle Probleme. Ein Videokommentar.

An der Demokratie wird ständig gebaut – auch in Österreich Foto: APA/HANS KLAUS TECHT)

Mehr als sechs Millionen Österreicher haben am 15. Oktober die Möglichkeit, Politik zu machen. Dann wird das Parlament für die nächsten fünf Jahre gewählt. Fest steht jetzt schon – ein Teil der Wahlberechtigten wird sich nicht aufraffen, ein Kreuzerl zu machen. Ein Fünftel der Österreicher geht nicht mehr wählen. Viele Bürger sind unzufrieden und haben das Gefühl, nicht wahrgenommen zu werden. Markus Pausch, Wissenschafter für Soziale Arbeit an der Fachhochschule Salzburg, erklärt die Situation: „Die Eliten werden als etwas Abgehobenes wahrgenommen, weil sie von den Alltagssorgen der Menschen weit entfernt sind. Und umgekehrt ist der Eindruck da, dass sich die Bevölkerung von der Politik abwendet. Das ist durchaus der Fall.“

Wie kann man die Distanz zwischen Entscheidungsträgern und den verdrossenen Bürgern verringern? Mehr Sachentscheidungen den Leuten überlassen – das fordert der Verein „mehr demokratie! Österreich“. Derzeit gibt es in Österreich drei Instrumente der direkten Demokratie: Die Volksabstimmung, die Volksbefragung und das Volksbegehren.

Volksabstimmung.

Wenn die Bevölkerung sich bei einer Entscheidung in der Politik beteiligen kann, nennt man das Volksabstimmung. Normalerweise betrifft das Gesetze. Die Regierung macht eine Umfrage, bei der die Bevölkerung mit „ja" oder „nein" antworten, also für oder gegen einen Gesetzesbeschluss stimmen kann.

Volksbefragung.

Bei einer Volksbefragung wird die wahlberechtigte Bevölkerung nach ihrer Meinung zu einem bestimmten Thema gefragt. Es wird dabei entweder eine Frage gestellt, die mit „ja“ oder „nein“ beantwortet werden kann, oder es werden zwei Lösungsvorschläge zur Auswahl vorgegeben. Im Unterschied zu einer Volksabstimmung sind die Ergebnisse einer Volksbefragung rechtlich nicht bindend.

Volksbegehren.

Hat die Bevölkerung ein bestimmtes Anliegen und glaubt, dass die gewählten Volksvertreter sich um diese Sache zu wenig kümmern, kann sie sich mit Hilfe eines Volksbegehrens an den Nationalrat wenden. Dafür müssen mindestens 100.000 Unterschriften von wahlberechtigten Bürgern gesammelt werden.

Quelle: help.gv.at

Im Frauenvolksbegehren engagiert sich aktuell Teresa Havlicek, 28, Journalistin aus Wien. Unter anderem fordert die Initiative gerechtere Löhne für Frauen oder den Ausbau von Frauenhäusern. Volksabstimmungen gab es in der Zweiten Republik bis dato erst zwei: 1978 stimmten die Österreicher gegen das Kernkraftwerk in Zwentendorf und 1994 für den Beitritt zur Europäischen Union. Eine bundesweite Volksbefragung gab es in Österreich überhaupt erst einmal: 2013, als sich die Österreicher gegen die Einführung eines Berufsheeres entschieden.

Politikwissenschafter Markus Pausch findet direkte Demokratie grundsätzlich gut. (Foto: Michael Bartholomäus Egger)

Soll das Volk öfter befragt werden und würde so das Interesse der Bürger an der demokratischen Teilhabe wieder steigen? "Grundsätzlich ja", sagt Politikwissenschafter Markus Pausch. Dennoch gibt es ein Aber: „Es wird immer dann gefährlich, wenn sich die Mehrheit zu Ungunsten von Minderheitenrechten durchsetzt.“ Der einfachste Lösungsansatz? „Die Parteiarbeit sollte wieder näher an die Menschen herangehen“, sagt Pausch.

Michael Egger, Redakteur von „G – Gesellschaft Gemeinsam Gestalten“, analysiert das Thema in einem Videokommentar:

Posted by Gerhard Rettenegger in Politik, 0 comments

Was wollen die Jungen überhaupt?

Den jungen Menschen von heute wird nachgesagt, sie wären so unpolitisch wie keine Generation vor ihnen. Wir waren im Unipark Salzburg und haben sie gefragt, was sie beschäftigt und wie sie sich politisch einbringen wollen.

Das Bild hält sich: Von einer Jugend, die keinerlei Interesse an Politik im Allgemeinen und am politischen Geschehen im Besonderen hat. So ganz stimmt das aber nicht. Die Jugend ist politisch. Empfinden Parteien aber oft als zu eng, zu träge, zu alt – einfach zu weit weg von der eigenen Lebensrealität. Politikern gehe es nur um Macht und Geld, nicht um Menschlichkeit. Das macht misstrauisch. Am Wahltag wählen sie oft nur das geringere Übel. Das macht unglücklich.

Hilfsorganisationen und Initiativen passen da schon eher ins Weltbild der jungen Leute. Sie wollen etwas machen, sich aber nicht ewig binden. Also dann aktiv werden, wenn es sich gerade gut anfühlt. Für politisches Engagement fehlt ihnen oft nicht die Zeit, sondern der Antrieb, hinaus zu gehen und die Gesellschaft aktiv mitzugestalten. Vielen aber fehlt das Gefühl, tatsächlich etwas bewirken zu können.

 

Elisabeth, 21, Studentin:

„Ich finde, dass man über Politik gar nicht genug Bescheid wissen kann. Das Verständnis sollten einem die Eltern schon sehr früh mitgeben. Wenn ich neben dem Studium mehr Zeit hätte, würde ich politisch etwas machen, auf kommunaler Ebene in einer Partei. Das hat mich schon immer interessiert. Themenmäßig interessiert mich die Flüchtlingspolitik. Ich finde, da gehört noch viel mehr gemacht und eingebracht. Und die Politik sollte generell mehr für junge Menschen machen.“

 


Johannes, 22, Student:

„Um mich selbst zu engagieren, fehlt mir im Moment die Zeit und die Energie. Und für mich passt alles relativ gut, so wie es ist. Ich wüsste jetzt kein Thema, bei dem ich unbedingt etwas verändern wollen würde. Wenn man das große Ganze betrachtet, gibt es auch kaum Unterschiede zwischen den einzelnen Parteien. Jede Partei ist für Kapitalismus. Ob ich jetzt die FPÖ wähle oder die ÖVP, das große System Kapitalismus ändert sich nicht. Wenn, ändern sich nur Kleinigkeiten.“

 

Theresa, 15, Schülerin:

„Ich habe nicht das Gefühl, dass ich in der Schule ausreichend auf Politik vorbereitet werde. Grundsätzlich interessiert mich schon, was politisch passiert. Aber mich in der Politik zu engagieren, muss dann doch nicht sein. Mir fehlt die Zeit und so stark interessiert es mich dann auch nicht.“

 

Aliti, 24, Student:

„Ich habe mich noch nie politisch engagiert. Aber ich kann es mir für später vorstellen. Wenn ich einmal mit dem Deutschkurs fertig bin, kann ich mich neu orientieren, was ich genau machen will. Ich interessiere mich sehr für EU-Politik. Mir gefällt die Idee der Union, das Gemeinsame. Und mir gefällt die Politik von Norbert Hofer (FPÖ-Politiker, Anm. d.R.). Ich kann nicht sagen warum genau, und ich weiß, dass er gegen die EU ist. Aber was er über die Arbeit sagt, gefällt mir."

 

Esther, 28, Studentin:

„Tendenziell interessiere ich mich für Politik eher nicht. Ich habe den Eindruck, dass ich als Individuum wenig Einfluss habe. Ich kann nur wählen gehen. Das tue ich auch, weil es das Einzige ist, was ich politisch machen kann. Aber die Auswahl ist oft moderat. Das heißt, ich wähle oft das geringere Übel. Das ist für mich nicht befriedigend.Was komplett eigenes zu machen, um mich politisch zu engagieren, traue ich mir nicht zu - wegen der Arbeit, die dahinter steckt.“

 

Lukas, 25, Student:

„Ich gehe zu Wahlen, mehr aber auch nicht. Ich brauche schon für Sport eine große Überwindung. Und ich bin nicht wirklich davon überzeugt, dass ich als Student einen großen Einsatz erbringen kann. Es ist weniger die Zeit, dir mir fehlt, die kann ich mir einteilen. Aber der Wille, in der Politik zu arbeiten, ist nicht groß vorhanden. Ich mache lieber etwas mit Freunden, als Menschen mit Flyern auf die Nerven zu gehen."

 

Patrick, 21, Student:

„Ich engagiere mich nicht politisch. Meine Partei gibt es nicht. Die sind alle ein bisschen falsch. Etwas Eigenes zu machen, würde mich reizen. Aber ich bin ein kleiner Student. Ich glaube nicht, dass das in nächster Zeit etwas wird. Aber ich habe schon das Gefühl, dass ich als junger Mensch politisch etwas bewegen kann. Mich interessiert alles irgendwie. Die Flüchtlinge, die als die Bösen dargestellt werden, obwohl sie nichts dafür können. Und generell die Ungerechtigkeiten auf der Welt.“

 

Liliana, 34, Studentin:

„Ich engagiere mich gar nicht politisch. Wobei, vielleicht ist das untertrieben. Ich mache ein paar Veranstaltungen mit Asylbewerbern. Das ist vielleicht schon politisches Engagement, denke ich. Ich bin in keiner Partei, weil ich mich dann entscheiden müsste. Parteien sind mir zu eng. Und ich müsste alles vertreten. Dieses klare Statement zu machen, ist für mich schwierig.“

 

Daniel, 25, Student:

„Momentan fehlt mir neben Studium und Arbeit für politisches Engagement die Zeit. Nach dem Abschluss kann ich mir vorstellen, in diese Richtung etwas zu machen. Aber etwas, was nicht so zeitintensiv ist. Mich beschäftigen vor allem die Schere zwischen Arm und Reich und Themen wie Umwelt und Flüchtlinge. Ich finde beispielsweise Sebastian Kurz (ÖVP-Obmann, Anm. d.R.) sympathisch. Wie er wirklich ist, wird man aber erst sehen. Ich bin da eher neutral. Wirklich eine Stammpartei habe ich nicht.“

 

Eva, 24, Studentin:

„Politik ist mir zu wenig greifbar. Es geht nur darum, wer mehr Macht und wer mehr Geld hat. Das hat nichts mit Gesellschaft und Menschlichkeit zu tun. Wenn man die Nachrichten einschaltet, kommt nur noch Negatives. Im Moment glaube ich nicht daran, dass ich mit meinem Engagement etwas bewirken könnte. Ich habe gerade aber auch gar keine Lust, mich damit auseinanderzusetzen. Ich fühle mich im Moment sehr unwohl hier. Ich denke in letzter Zeit oft darüber nach, auszuwandern. Australien soll sehr menschlich sein.“

 

Posted by Gerhard Rettenegger in Politik, 0 comments

Die Dorfkaiser haben ausgedient

Sie sind jung, offen für Neues und gehen Wege, die vorher undenkbar waren. Die jüngsten Bürgermeister Österreichs entstauben die alten, politischen Strukturen. Sie zeigen, warum es sich für Junge lohnt, sich in der Gemeindepolitik zu engagieren.

Die einen sitzen mit 25 Jahren in der Uni und lernen für die nächste Prüfung. Die anderen arbeiten in einem Betrieb. Doch einer tanzt aus der Reihe: Der Fügener Dominik Mainusch wurde im Vorjahr zum jüngsten Bürgermeister Tirols gewählt. Er konnte sich gegen den Langzeit-Bürgermeister der Gemeinde durchsetzen. Die beiden trennen nicht nur viele Lebensjahre, sondern vor allem die Art, politische Entscheidungen zu treffen. „Wir sind beide bürgerlich, beide ÖVPler, aber am Ende entscheide ich ganz anders, als er es damals gemacht hat. Das aber nicht auf Grund einer Ideologie oder der Partei, sondern wegen meines anderen Zugangs zu den Themen“, sagt Mainusch. Die Partei habe für ihn im Tagesgeschäft eines Kommunalpolitikers nichts zu suchen.

Bürger einbinden

Das hat sich in Fügen auch schnell gezeigt. Jahrzehntelang wurde in der Gemeinde um eine Lösung des Verkehrsproblems gekämpft. Es wurde diskutiert, geplant, mit dem Land verhandelt. Pläne wurden verworfen. Alles begann von vorne. Immer wieder. Auch Gemeinderatsbeschlüsse wurden revidiert. Die Bürger glaubten nicht mehr an eine Einigung. Doch genau die brachte der jüngste Bürgermeister Tirols. Nach eineinhalb Jahren im Amt hat er nicht nur eine Lösung auf den Tisch gelegt, sondern auch noch per aufwendigem Bürgerbeteiligungsprozess die ganze Gemeinde eingebunden. Zwischenzeitlich hat er die marode Bergbahn an einen Investor verkauft, der nun rund 70 Millionen Euro in den Motor der Tourismusgemeinde steckt. Als nächstes steht die Dorfkernrevitalisierung an. Auch hier werden die Fügener eingebunden.

Foto: Eva-Maria Fankhauser (6), Gerhard Rettenegger (5)

„Ich glaube, dass sich so die Menschen wieder mehr mit der Politik identifizieren können“, sagt Mainusch zum Thema Bürgerbeteiligung. Dennoch ist ihm bewusst, dass in den vergangenen Jahren das Vertrauen in die Politik stark gelitten hat. „Diese Politikverdrossenheit hat man meiner Meinung nach aber falsch interpretiert. Das ist nicht die Verdrossenheit gegenüber der Politik, sondern gegenüber den politischen Akteuren. Deshalb haben sich viele abgewandt“, sagt der mittlerweile 26-Jährige. Er hofft, dass junge Politiker und engagierte Leute das künftig ändern können. Besonders viel Hoffnung setzt er in seinen Partei-Kollegen Sebastian Kurz. „Durch ihn, den Umbruch im Land und den neuen Stil, fassen die Leute wieder mehr Vertrauen in die Politik. Man muss dieses Vertrauen behutsam behandeln und Verantwortung ernst nehmen. Wenn sich die Parteien nicht öffnen, anpassen und mit der Zeit gehen, dann verlieren sie massiv an Vertrauen“, stellt Mainusch klar.


Von 297 Bürgermeistern in Tirol sind nur acht unter 35 Jahre alt.

Jeder kann etwas tun. Politisches Engagement fängt für den jungen Dorfchef bereits dann an, wenn man versucht, andere Menschen von etwas zu überzeugen. „Ich bin zu Wahlzeiten selbst auch auf die Straße gegangen“, sagt der Fügener. Auch Demonstrationen oder Kommentare auf verschiedenen Plattformen seien für ihn Engagement. „Die Möglichkeiten, sich politisch einzubringen, sind vielfältig“, sagt er. Er stehe für Gespräche stets zur Verfügung. Ansonsten regt er an, sich im Dorfleben zu engagieren und so etwas zur Gesellschaft beizutragen, egal ob in Vereinen, bei ehrenamtlichen Tätigkeiten oder karitativen Einrichtungen. „Meine Vision ist ein anderer Zugang zu Politik und die Menschen einzubinden. Nicht von oben herab oder im stillen Kämmerchen Entscheidungen vorgeben, ohne zu überprüfen, ob die Gesellschaft oder die Bevölkerung das überhaupt will“, betont Mainusch.

Das direkte Gespräch

Das sieht Bürgermeister Ingo Hafele (27) aus St. Jakob im Defereggen (Osttirol) ähnlich: „Die Bürger können jederzeit mit mir reden, ich bin immer da, wenn es etwas gibt.“ Einige seiner Kollegen würden viel über Facebook regeln und zu den Bürgern sprechen. Das macht für ihn wenig Sinn. Er bevorzugt in der kleinen Gemeinde das direkte Gespräch. Politisches Engagement müsse für ihn vor allem auf Landes- und Bundesebene passieren. „Da kriegen die Jungen viel mehr mit als im kleinen Dorf. Da kann man mehr erreichen und mehr reißen“, sagt Hafele.

Foto: Gemeinde Badersdorf

Social Media nutzt Bürgermeister-Kollege Daniel Ziniel (24) aus Badersdorf im Burgenland schon gerne – vor allem, wenn es darum geht, die Jugend zu erreichen. „Das ist gut für Nebenbei. Ansonsten ist der persönliche Kontakt schon besser“, sagt er. Besonders oft werde er auch abseits des Gemeindeamts von den Bürgern angesprochen. Unverbindliche Gespräche in der Freizeit, unterwegs oder im Gasthaus seien wichtig, um Themen unverbindlich und einfach anzusprechen. „Das ist oftmals der Start für ein Gespräch, wenn mich so einfach jemand anspricht. Dann kann man einen Termin ausmachen“, sagt der junge Bürgermeister. Politisches Interesse verspüre er sehr viel in seiner Gemeinde. Bei der Jugend sehe es aber eher mager aus. „Ich bin da der einzige Junge“, sagt Ziniel. Es brauche aber junge Leute in der Politik, dadurch könne man die Parteien entstauben und für neuen Schwung sorgen. „Wir haben einfach einen anderen Zugang zu Politik, als andere Generationen“, betont er. Das alte System müsse aufgelockert werden.

Jüngster Bürgermeister

Foto: Gemeinde Eferding

Der jüngste Bürgermeister Österreichs, Severin Mair (24), stimmt Ziniel zu. Es sei toll, wenn junge Bürgermeister Verantwortung übernehmen, sich engagieren und in den Großparteien alte Strukturen aufbrechen können. Die Zeit sei reif. Genauso wichtig ist es für Mair, dass sich jeder Einzelne einbringen kann. „Die Leute sollen nicht nur sagen, was ihnen nicht passt, sondern sich am besten selbst für etwas engagieren“, sagt der Oberösterreicher. Selbst anpacken. Er sieht großes Potential in der jungen Bevölkerung. „Wir sind zum Teil offener, aktiver, kreativer und nicht in festgefahrenen Mustern drin. Wir gehen auf Ideen, die zuerst unmöglich oder komisch klingen, eher ein und schaffen so neue Wege“, erklärt Mair, der gerade seinen Grundwehrdienst leistet. Es seien oft Kleinigkeiten, mit denen man in der Gemeinde viel bewegen könne. Ein Beispiel dafür seien Verschönerungen in der Gemeinde, Spazierwege oder auch das neue Veranstaltungszentrum. „Niemand hat geglaubt, dass wir aus der alten Bruchbude etwas so Tolles und Modernes machen können“, sagt Mair. Politisches Engagement ist für ihn auch, wenn sich die Bürger in die örtlichen Vereine einbringen. „Man kann beim Kultur- oder Sportverein, bei der Freiwilligen Feuerwehr und dem Roten Kreuz helfen, die Gemeinde positiv mitzugestalten. Das kann auf niederschwellige Art und unterschiedliche Intensität passieren“, sagt der jüngste Bürgermeister Österreichs. Jeder kann etwas tun.

Posted by Gerhard Rettenegger in Politik, 0 comments

Trauer per Mausklick: Wie sinnvoll ist „Je suis Charlie“?

Nach Terroranschlägen bilden sich im Internet binnen kürzester Zeit internationale Trauer- und Protestbewegungen. Von „Je suis Charlie“ bis zu „Pray for Paris“. Woher kommen diese kollektiven Gefühlsausbrüche und wie sinnvoll es ist, sich daran zu beteiligen?

Nach den Terroranschlägen von November 2015 in Paris erstrahlten viele Profilbilder auf Facebook in den französischen Nationalfarben. User hatten ihr Profilbild eingefärbt, um ihre Anteilnahme zu bekunden. Bereits Monate zuvor, nach dem Attentat auf das Satiremagazin Charlie Hebdo, hatten Millionen Menschen bekannt: „Ich bin Charlie“ („Je suis Charlie“). Nachträglich wurden die Kampagnen stark kritisiert. Ist die Trauer per Mausklick eine abzulehnende Entwicklung im Zeitalter neuer Medien oder eine sinnvolle Art, sich zu engagieren?

Wir haben mit dem Psychologen Stefan Reiß über dieses Phänomen gesprochen. Der 27-Jährige beschäftigt sich in seiner Dissertation an der Universität Salzburg damit, wie sich die Wahrnehmung von Bedrohungen auf Erleben und Verhalten auswirkt. Die vier wichtigsten Fragen werden im Video beantwortet, die Langfassung des Interviews finden Sie in schriftlicher Form daran anschließend.

Das Interview in voller Länge:

Frage: Binnen kürzester Zeit kommt es heutzutage nach Terroranschlägen zu kollektiven Gefühlsausbrüchen im Internet. Wir protestieren und trauern per Mausklick. Warum schaffen wir solche Massenphänomene?

Stefan Reiß: Grundsätzlich haben wir viele existenzielle Anliegen. Unter anderem Sicherheit, eine gewisse Vorhersagbarkeit in unserer Umgebung und Identität. Terroranschläge gefährden dieses Gefühl von Kontrolle und greifen die Werte unserer Gesellschaft an. Das macht uns unsicher. Wir suchen dann nach Kompensationsmöglichkeiten, um die Kontrolle wiederherzustellen. Etwa, indem wir uns explizit einer Gruppe zugehörig machen, wie beispielsweise durch das „Je suis Charlie“ oder die Einfärbung von Facebook-Fotos. Das schafft ein kollektives Gefühl von Identität und Kontrolle.

Frage: Ist das also weniger ein Ausdruck von Mitgefühl, als eine Handlung für uns selbst? Die uns hilft, mit den eigenen Gefühlen umzugehen?

Stefan Reiß: Beides spielt mit hinein. Aus sozialpsychologischer Sicht geht es darum, dieses Gefühl von Zugehörigkeit darzustellen und Handlungsfähigkeit aufrecht zu erhalten.

Frage: Bei diesen Kampagnen wurde vielfach kritisiert, dass sie nur entstehen, wenn Anschläge oder Katastrophen in Westeuropa stattfinden – nicht bei Anschlägen im Irak oder in Libyen.

Stefan Reiß: Je näher eine Bedrohung an uns dran ist, desto stärker ist unsere Reaktion. Personen, denen wir uns näher fühlen, etwa auf emotionaler oder auch ethnischer Ebene, vermitteln viel eher das Gefühl, dass wir etwas dagegen tun müssen. Die Bedrohung wird als viel näher wahrgenommen.

Frage: Wie sinnvoll ist es, wenn ich mich an dieser Art der Trauerbekundung beteilige?

Stefan Reiß: Auf persönlicher Ebene ist das eine sehr effiziente und effektive Methode, sich gegen diesen Bedrohungszustand zu wehren. Im globalen und sozialen Kontext kann das sehr negativ sein. Wenn die Gruppe, der ich mich zugehörig fühle, negative und anti-soziale Normen vertritt oder fremdenfeindliche Verhaltensweisen befürwortet. Das kann den Konflikt zwischen zwei Gruppen aufrechterhalten oder sogar beschleunigen.

Frage: Ist es also schädlich, daran teilzunehmen, weil solche Bewegungen automatisch ausgrenzen und den Konflikt befeuern können?

Stefan Reiß: Wenn man sich mit „Charlie Hebdo“ oder den Franzosen identifiziert, ist das primäre Ziel nicht die Ausgrenzung gegenüber anderen. Sondern das Schaffen einer gemeinsamen Identität und gemeinsamen Normen: Wir sind eine Einheit, auch wenn ich persönlich wenig Kontrolle habe und bedroht bin – meine Gruppe an sich bleibt stark, homogen und handlungsfähig. Und vertritt gemeinsame Werte. Das kann dann in einem sekundären Schritt dazu führen, dass ich gegenüber Personen, die meinen Gruppennormen widersprechen, extrem abgrenzend werde. Ein Beispiel wäre, Einwanderung negativer wahrzunehmen oder sich mehr gegen Flüchtlingsströme zu stellen.

Foto: Lisi Niesner

Frage: Wie kann ich verhindern, dass es zu diesen negativen Auswirkungen kommt und mich sinnvoll beteiligen?

Stefan Reiß: Wichtig wäre, in der Gruppe Normen zu haben, die pro-sozial sind. Wenn eine Gruppe ein gemeinsames Ziel verfolgt, das eher Pazifismus, Integration oder Multikulturalismus ist, dann kann das in einem Konflikt durchaus positiv wirken.

Frage: Wie stelle ich diese gemeinsamen Normen her? Meist funktionieren diese Bewegungen ja wegen der Einfachheit der Botschaften.

Stefan Reiß: Es kommt darauf an, was man daraus macht. Die Situation nach einem Terroranschlag ist emotional und aufgeheizt. Rationale Gedanken treten in den Hintergrund. Dann kann es sein, dass automatisch nach Normen gegriffen wird, die wie Sümpfe sind, zu einem Schwarz-Weiß-Denken führen und die Welt einfach einteilen. Von hier aus auf positive gemeinsame Normen und ein pro-soziales Handlungsziel zu kommen, ist schwierig. Sollte aber das höchste Ziel sein.

Frage: Wenn ich als Nutzer vor dem Bildschirm sitze und einen Anschlag miterlebe. Dann beginnt sich so etwas zu entwickeln. Wie kann ich daran mitwirken, der Bewegung diese positive Richtung zu geben?

Stefan Reiß: Eine Möglichkeit ist, pro-soziale Normen bewusst zu machen. Wenn nach einer Bedrohung Pazifismus vorgelebt wird. Das führt dann dazu, dass wir weniger aggressiv gegen Personen vorgehen, die unsere Normen verletzen oder angreifen. Wir müssen es schaffen, Pazifismus, Multikulturalismus und Offenheit zur Norm zu machen. Das kann dazu führen, dass wir weniger gegen andere austeilen. Man kann sich einer Gruppe zugehörig fühlen. Es ist aber wichtig, gleichzeitig positive Handlungen auszudrücken. Andere sollten sehen, dass das Ziel der Gruppe nicht ist, Krieg oder militärische Interventionen anzufangen, oder andere auszugrenzen. Vielmehr sollte man aussagen: „Wir als Gruppe wollen offen auf andere zugehen.“

Video & Interview:
Mattthias Sauermann

Posted by Gerhard Rettenegger in Politik, 0 comments

Hetze im Netz: Wie jeder Hasskommentare im Internet bekämpfen kann

Beschimpfungen, Aufrufe zur Gewalt – bis hin zur Verharmlosung des Holocaust. Das Internet wird immer mehr zur Bühne für Extremisten. Wie jeder von uns der Hetze im Netz entgegentreten kann.

„Hackt ihm die Füße ab und lasst ihn laufen“, schrieb ein Mann auf Facebook über einen ausländischen Straftäter. „Diese Ratten“ solle man „ausrotten“. Ein anderer sah „illegal importiertes Gesindel“ und „Rudel von feindlichen Arabern“. Eine Frau schrieb im Zusammenhang mit dem Vernichtungslager Auschwitz von „Lügen“.

In einer aufgeheizten Stimmung, speziell seit dem Höhepunkt der Fluchtkrise im Herbst 2015, stieg zuletzt nicht nur die Anzahl der Verurteilungen wegen Verhetzung, auch werden immer mehr Menschen nach dem Verbotsgesetz verurteilt (siehe Grafik). Dazu trugen auch Kommentare und Inhalte im Internet bei. Hasskommentare wie die eingangs genannten grassieren seit dem Höhepunkt der Fluchtkrise vor zwei Jahren verstärkt im Internet – speziell in sozialen Netzwerken. Gehetzt wird oft gegen Flüchtlinge, aber auch gegen andere Minderheiten und Andersdenkende. Viele User stolpern über solche Inhalte und fragen sich: Was kann ich tun? Die gute Nachricht: Jeder kann sich dagegen etwas tun und das Klima im Internet verbessern – statt solche Nutzer nur zu blockieren oder auszusteigen.

Bedenkliche Kommentare melden

In einem ersten Schritt können Kommentare oder andere Inhalte dem Betreiber der Seite gemeldet werden. Facebook etwa weigert sich jedoch oft, die Inhalte aus dem Netz zu nehmen. Demnach verstoßen hierzulande verbotene Inhalte nicht gegen die „Gemeinschaftsstandards“ des in Irland ansässigen Unternehmens. In Deutschland will man dem mit einem neuen Gesetz entgegen treten, das hohe Strafen androht, falls Inhalte trotz Aufforderung der Behörden nicht gelöscht werden.
Darüber hinaus nehmen das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW), stopline.at oder die Initiative ZARA Meldungen entgegen. Dort werden die Inhalte dokumentiert und über Berichte an die Öffentlichkeit getragen. Das DÖW gibt dem, der sich an die Meldestelle gewandt hat, zudem eine Einschätzung, ob die Kommentare tatsächlich strafrechtlich relevant sein könnten.

Extreme Inhalte anzeigen

Direkt angezeigt werden können sie mit Link und Screenshot bei der NS-Meldestelle des Innenministeriums (siehe Infokasten). Die Behörden sieben dann die relevanten von den irrelevanten Meldungen aus. Jene, bei denen der Verdacht auf ein strafrechtliches Vergehen besteht, werden an die Justiz weitergeleitet. Im Unterschied zum DÖW bekommt man hier keine Antwort, auch wenn Ermittlungen eingeleitet werden. Das Ministerium berichtet jedoch, dass bei immer mehr der Meldungen der Verdacht auf eine Straftat bestehe. „Die Qualität der Meldungen hat sich stark verbessert. 2015 wurden 1.350 von 3.913 Meldungen weiter verfolgt, im vergangenen Jahr waren es dann 1.575 Meldungen – obwohl die Zahl der Meldungen insgesamt mit 3.124 rückläufig war“, erläutert Ministeriums-Sprecher Alexander Marakovits. Die Bevölkerung konnte somit offenbar besser einschätzen, welche Vergehen tatsächlich strafrechtliche Relevanz haben könnten.
Was auffällt: Die Anzahl der Meldungen an die NS-Meldestelle (siehe Grafik) ist in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Das habe einerseits mit der Fluchtkrise zu tun. Andererseits sei das Bewusstsein der Bevölkerung geschärft worden, heißt es dazu aus dem Ministerium. Früher hätten Bedenken bestanden, persönlich zur Polizei zu gehen und Anzeige zu erstatten. Die neue Meldestelle funktioniert deshalb anonym – Daten der User werden also nicht weitergegeben. Nicht selten kommt es nach Meldungen auch zu Verurteilungen. Wie im Falle der Frau, die im Zusammenhang mit dem Vernichtungslager Auschwitz von „Lügen“ schrieb.

Meldestellen und Links zum Thema Hetze im Internet

Mitdiskutieren und so Gegenwind erzeugen

Nachhaltiger ist aber oft die zweite Möglichkeit: Dagegen argumentieren, ruhig und sachlich. So macht es etwa der Wiener Patrick Spychala, der sich als User im Netz gegen Hasskommentare stellt. „Man kann das nicht einfach so stehen lassen. Das bringt diesen Schwachsinn nur wieder in die Mitte der Gesellschaft. Man muss widersprechen“, erläutert Spychala seine Motivation.
Zum Beispiel habe er sich nach dem Tod von 71 Flüchtlingen in einem Kühllaster im August 2015 in Diskussionen eingemischt. Die Flüchtlinge, darunter auch Kinder, waren auf der Flucht im Wagen erstickt. User hätten in sozialen Netzwerken dann kommentiert, „dass man das eh mit denen so machen sollte. Dass man sie einsperrt und erstickt“, erinnert sich Spychala. „Ich frage die Menschen dann, ob sie das wirklich ernst meinen und was andere Menschen so viel weniger Wert macht“, erzählt der 28-Jährige. „Wenn das viele machen, entsteht ein Gegenwind für solche Kommentarschreiber.“ Den spürt dann nicht nur das direkte Gegenüber, sondern auch die vielen stillen Mitleser. Genau um die gehe es hauptsächlich, meint auch Bernhard Weidinger vom DÖW.

Sehr oft seien die Reaktionen der Angesprochenen jedoch positiv, sagt Spychala. Es handle sich vielfach um Kurzschlussreaktionen, die vom Verfasser nicht durchdacht waren. „Man klickt ‚Gefällt mir‘ oder teilt etwas, ohne nachzudenken. Wenn dann jemand sagt: ‚Schau dir das noch einmal an‘, dann kommt oft zurück: Stimmt, das war ein jetzt ein Blödsinn“. Ein Beispiel dafür, was das Engagement jedes Einzelnen bewirken kann.

Posted by Gerhard Rettenegger in Politik, 0 comments