Monat: Juli 2017

Ein Zeichen gegen das Vergessen

Gedenkdiener sind junge Menschen, die Holocaust-Opfern auf der ganzen Welt ihre Zeit widmen. Sie arbeiten in Pflegeheimen und hören den Menschen zu, betreuen Archive oder machen Führungen in Gedenkstätten. Einer von ihnen, Max Lehmann, spricht über seinen Einsatz im Altenpflegeheim "Hirsch" in Buenos Aires.

"Meine Devise ist: Bring sie noch einmal zum Lachen, Max." (Foto: Cornelia Grotte)

Lebhaft, offen, kommunikativ. So wirkt Max Lehmann, während er von seinem Jahr als Gedenkdiener in einem Pflegeheim in Buenos Aires erzählt. Man sieht ihm die Begeisterung für seine Arbeit im Heim an. Seine Augen strahlen, wenn er über seine Zeit in Argentinien spricht. "Ein guter Freund von mir machte vor fünf Jahren in Israel Gedenkdienst“, sagt er. „Daher habe ich begonnen, mich darüber zu informieren und mich entschieden, nach Südamerika zu gehen."

Rund um Weihnachten 2014 bekam der WU-Student die Zusage des Vereins Gedenkdienst. Von August 2015 bis September 2016 arbeitete er im Pflegeheim. Schon vor seinem Einsatz in Buenos Aires hatte sich der Student mit dem Holocaust auseinandergesetzt. „Der Verein Gedenkdienst schaut stark darauf, dass junge Männer und Frauen an die Stellen geschickt werden, die sich mit dem Holocaust beschäftigen“, sagt er. Der Verein biete in Wien Mittwochstreffen an. „Dort kommen die Leute im Büro oder in Museen zusammen und reden über ein bestimmtes Thema des Holocaust."

Jeder ist geeignet

Auf die Frage, ob jeder für den Gedenkdienst geeignet ist, hat der Wiener eine klare Antwort: „Der Verein möchte nicht nur Gymnasiasten oder Leute aus einem progressiven Elternhaus ansprechen“, sagt er. Sondern auch Lehrlinge, aus Wien und den anderen Bundesländern.

Der 20-Jährige hatte sich vor seinem Auslandsjahr hauptsächlich Gedanken darüber gemacht, wie er seinen Horizont erweitern könnte. „Ich habe mir einen Plan gemacht, was ich alles in dem Jahr erreichen will: Tagebuch schreiben, ein Instrument und eine neue Sprache lernen. Ich habe jedoch nur die Hälfte umgesetzt, obwohl es ein irrsinnig geiles Jahr war." Die ersten Tage in Buenos Aires waren für Max Lehmann nicht leicht. Alleine am ersten Wochenende in der Fremde lernte der junge Gedenkdiener 30 neue Leute kennen, die auch im Pflegeheim arbeiteten. In einer Stadt, in der nur Spanisch gesprochen wird, und umgeben von fremden Menschen, war der Anfang schwer. Trotzdem fand sich der 20-Jährige schnell zurecht. Lehmann hatte sich dort sogar so gut eingelebt, dass er sich nach dem Auslandsjahr schwer tat, wieder Deutsch zu sprechen. „Ich habe die letzten Monate nur noch Spanisch gesprochen, die Zunge bewegt sich ganz anders“, sagt Lehmann.

Immer ein offenes Ohr

Bei der Arbeit im Altersheim gefiel dem Wiener vor allem der Kontakt zu den Menschen und die Gespräche mit den Heimbewohnern. „Es ist wie ein stiller Vertrag zwischen uns“, sagt er. „Sie wissen, dass ich ein Jahr da bin und ich weiß, dass ich ein Jahr da bin. Daher machen wir das Beste daraus. Wir Gedenkdiener haben immer ein offenes Ohr."

Besonders gerne wurde über Fußball gesprochen. „Da war ein junger Mann, er war zirka 25 und hatte einen schweren Arbeitsunfall und dadurch nur noch eine Gehirnhälfte. Mit ihm habe ich viel geredet, weil er Fan meines Lieblingsfußballklubs war“, sagt er. Es sei lustig gewesen, weil in Argentinien Fußball wie Religion ist. „Es ging nicht jeden Tag um das bedrückende Thema des Holocaust, sondern es war eher ein Ins-Reden-Kommen über das Wetter, Wehwehchen, Fußball, Politik und das Essen." Von einer Dame habe Lehmann sogar versucht, etwas Hebräisch zu lernen. „Aber das hat nicht gut geklappt", erinnert er sich zurück. Im Heim war Max Lehmann dafür verantwortlich, in der Früh die Zeitungen auszuteilen, mit den Leuten zu reden, auch einmal im Kiosk des Altersheimes zu stehen und die älteren Menschen ein bis zweimal in der Woche zum Supermarkt zu fahren.

Gedenkdienstvereine:

Verein GEDENKDIENST
Margaretenstr. 166
1050 Wien
Österreich
E-Mail: office@gedenkdienst.at

Verein Niemals Vergessen
Johann Böhm Platz 1
1020 Wien
Österreich
E-Mail: sj@niemalsvergessen.at

 

Österreichischer Auslandsdienst
Hutterweg 6
6020 Innsbruck
Österreich
E-Mail: info@auslandsdienst.at

Opfer des Krieges

Wenn Max Lehmann über den Holocaust spricht, wird seine Miene ernst und er denkt lange nach, bevor zu erzählen beginnt. Er erinnert sich an eine deutsche Dame. Sie feierte ihren 105. Geburtstag, als Lehmann im Pflegeheim in Buenos Aires zu arbeiten begann. „Rebecca hat gerne davon erzählt, dass sie sich an das Ende des Ersten Weltkrieges erinnern konnte, auch wenn sie damals vier oder fünf Jahre alt war. Sie erzählte, wie die Leute in Berlin damals gejubelt haben, weil dieser blöde Krieg endlich vorbei war." Lehmanns Blick wandert in die Ferne, als er sagt: "Über den Zweiten Weltkrieg erzählte Rebecca, dass die Hälfte ihrer Familie im Konzentrationslager umgekommen ist.“ Lehmann erzählt, dass sich die Leidensgeschichte vieler Holocaust-Flüchtlinge nicht auf ein Lebensereignis beschränkt. „Sie haben viele Menschen im KZ verloren“, sagt er. „Oft erzählen sie, dass sie bei der Flucht alles verloren haben. In Südamerika haben sie viel Schreckliches in den faschistischen Militärregimen von damals noch einmal erlebt."

Als die Nazis einmarschierten

Besonders betroffen wirkt der Student, als er über Heimbewohner aus Wien erzählt: „Ich habe mich mit zwei Damen aus Wien gut verstanden. Mit ihnen konnte ich darüber reden, wie ihr Wien war und wie mein Wien ist“, sagt Lehmann. „Ich kann kein einziges Heurigenlied singen und die beiden können noch immer jedes Lied auswendig. Und das nach siebzig, achtzig Jahren."

Die Geschichte einer Wienerin berührte den 20-Jährigen besonders. Als Max Lehmann darüber spricht, verschwindet seine Lebhaftigkeit ein wenig. Er wirkt traurig. Es ist ihm sichtlich etwas unangenehm, aber spricht weiter: „Die Trixie war aus einem sehr reichen Modehaus. Ihre Mutter war Schneiderin. Sie ist im ersten Bezirk aufgewachsen und konnte von dem Salon heruntersehen, als die Nazis einmarschierten. Sie hat mir auch erzählt, dass sie leidenschaftliche Pianistin war. Das Erste, was ihr die Nazis weggenommen haben, war ihr Flügel. Damals war sie elf Jahre alt.“

Die eigene Gebrechlichkeit

Aber nicht nur die Vergangenheit und der Holocaust beschäftigten die Heimbewohner. Auch die eigene Gebrechlichkeit, Abhängigkeit und der Tod waren ein großes Thema. „Alleine gelassen zu werden, abhängig sein von anderen, den Lebensstandard verlieren. Das waren Themen, die die Menschen beschäftigten.“ Die Menschen in dem Altersheim seien oft reich gewesen. „Wenn man dann von einem großen Haus in der Stadt mit all seinen sozialen Kontakten in ein kleines Zimmer zieht, ist das ein extremer Einschnitt", sagt Max Lehmann.

Zum ersten Mal in seinem Leben setzte sich der Österreicher auch mit dem Thema Tod auseinander. „Bei vielen bekommt man mit, wie sie körperlich und geistig leiden. Daher verabschiedet man sich innerlich von den Leuten, weil man weiß, dass sie nicht mehr lange leben werden“, sagt er. Lehmanns Devise war immer: „Bring sie einmal noch zum Lachen, Max."

Der Student wird nachdenklich, als er sagt: „Man muss mit der Art, wie ein Altersheim so etwas kommuniziert, klarkommen“, sagt er. “Ich habe über den Tod eines Bewohners immer nur über ein schwarzes Brett erfahren. Wenn ich gesehen habe, dass ich den Namen am Brett nicht kenne, habe ich einen kurzen Moment der Erleichterung gespürt.“

Verlorene Heimat

Schnell wechselt der 20-Jährige zu einem erfreulicheren Thema: "In der Zeit, als ich in Südamerika war, lief die Präsidentschaftswahl in Österreich“, sagt er. „Den fünf oder sechs Österreichern, die noch dort lebten, haben wir ermöglicht, an der Wahl teilzunehmen. Mit 93 Jahren haben sie zum ersten Mal in ihrem Leben gewählt. Bei der Stichwahl im Mai 2016 wollten die Damen vor allem ein Zeichen gegen die FPÖ setzen", sagt Lehmann.
Auch wenn sich die wenigen Österreicher in dem Pflegeheim in Buenos Aires noch mit ihrer Heimat verbunden fühlen, können sie die Vergangenheit nicht vergessen: "Sie sehen Österreich schon als ihre Heimat an, aber als ihre verlorene Heimat. Sie wollen und können nicht mehr vergeben oder vergessen“, sagt Lehmann. „Freunde, Bekannte, Verwandte wurden ermordet. Ihre Existenz wurde ihnen genommen."

Auf die Frage, wann er beim Gedenkdienst an seine Grenzen gestoßen ist, wird Max Lehmann selbstkritisch. „Was mich noch immer stört ist, dass die Unterschiede zwischen Österreich und Argentinien so stark sind. Leute, die sechs oder sieben Tage die Woche als Pflegekraft, Physiologe oder Putzkraft arbeiten, verdienen nicht viel mehr als ich. Und ich gehe dort hin als junger, naiver Europäer, der irgendwie den Gedanken hat, ich erlebe ein neues Abenteuer. Während die Leute dort neben dem Heim in ganz einfachen Hütten leben. Ich bekam für mein Erlebnis mehr Geld als sie fürs Arbeiten."

Autorin:
Cornelia Grotte

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Für einen Tag das Augenlicht ausleihen

Autofahren. Kräftig aufs Gaspedal treten und auch mal den Vorfahrenden beschimpfen, weil er zu langsam fährt. Für uns alle ist das ganz normal, fast schon eine lästige Pflichtübung. Für Sebastian Traugott ist es eine Ausnahme. Der junge Mann ist blind. Er darf ans Steuer und wird dabei durch die Augen von Fahrprofi Heimo Egger geleitet.

Der Motor des Jeeps röhrt auf. Die Vorderräder hängen kurz in der Luft. Der Geländewagen erklimmt einen zwei Meter hohen Erdhügel. Was beim Fahren vor sich geht, sieht nur Copilot Heimo Egger. Für den jungen Mann am Steuer sind die Seitenspiegel nur Beiwerk. Sebastian Traugott ist blind. Er lauscht konzentriert den Ansagen seines Beifahrers. „Du hast noch eine Handbreite bis zum Hindernis, ruhig etwas mehr Gas, links einschlagen. Perfekt. Geschafft.“ Heimo Eggers Stimme führt Sebastian Traugott durch den gesicherten Parcours.

Wie kommt man auf die Idee, blinde Jugendliche Auto fahren zu lassen?

Heimo Egger ist Skipper, Mitglied der „Mirno More Friedensflotte Salzburg“ und begeisterter Offroad-Fan. Bei einem Turn der Friedensflotte vor sechs Jahren war Egger an Bord eines Segelschiffes und wurde Zeuge, als Sebastian Traugott nur durch sein Gespür für Wind und seinem geschulten Gehör, das Segelschiff durch die Kornaten, eine Inselgruppe in der kroatischen Adria, navigierte.


„Ich war so beeindruckt, als Sebastian ganz allein das Schiff navigierte. Ich dachte mir, wenn blinde Kinder ganze Schiffe über das Meer leiten können, dann können sie auch Auto fahren."

 

Die Mirno More Friedensflotte ist das größte europäische Segelsozialprojekt. Durch das Zusammenleben an Bord bekommen blinde Kinder mehr Selbstvertrauen.

Heimo Egger hat seine Idee, blinde Jugendliche autofahren zu lassen, mit dem Vorsitzenden von „Mirno More Salzburg“, Ingo Ingram, besprochen. Der war sofort begeistert. Ebenso wie Heinrich Albert, der Obmann des Offroad Clubs „4x4 Salzburg“. Seit der Geburt der Idee treffen sich Mitglieder beider Vereine einmal im Jahr an einem ganz besonderen Tag. In einem gesicherten Areal können blinde Kinder und Jugendliche Offroad-Luft schnuppern. Die geübten Fahrer von 4x4 Salzburg treten ihren Platz hinter dem Lenkrad ab und setzen sich auf den Beifahrersitz. Nur mit ihrer Stimme führen sie ihre Schützlinge an Hindernissen vorbei.

„Beinahe jeder fährt Auto. Viele sind in Auto-Clubs. Für mich ist es kein Aufwand, blinde Menschen mit meinem Wagen fahren zu lassen. Für sie bedeutet es aber die Welt“, sagt Heimo Egger.

Fotos: mytribephoto (9)

Weiterführende Informationen:

Autorin:
Martina Moser

 

und

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Trauer per Mausklick: Wie sinnvoll ist „Je suis Charlie“?

Nach Terroranschlägen bilden sich im Internet binnen kürzester Zeit internationale Trauer- und Protestbewegungen. Von „Je suis Charlie“ bis zu „Pray for Paris“. Woher kommen diese kollektiven Gefühlsausbrüche und wie sinnvoll es ist, sich daran zu beteiligen?

Nach den Terroranschlägen von November 2015 in Paris erstrahlten viele Profilbilder auf Facebook in den französischen Nationalfarben. User hatten ihr Profilbild eingefärbt, um ihre Anteilnahme zu bekunden. Bereits Monate zuvor, nach dem Attentat auf das Satiremagazin Charlie Hebdo, hatten Millionen Menschen bekannt: „Ich bin Charlie“ („Je suis Charlie“). Nachträglich wurden die Kampagnen stark kritisiert. Ist die Trauer per Mausklick eine abzulehnende Entwicklung im Zeitalter neuer Medien oder eine sinnvolle Art, sich zu engagieren?

Wir haben mit dem Psychologen Stefan Reiß über dieses Phänomen gesprochen. Der 27-Jährige beschäftigt sich in seiner Dissertation an der Universität Salzburg damit, wie sich die Wahrnehmung von Bedrohungen auf Erleben und Verhalten auswirkt. Die vier wichtigsten Fragen werden im Video beantwortet, die Langfassung des Interviews finden Sie in schriftlicher Form daran anschließend.

Das Interview in voller Länge:

Frage: Binnen kürzester Zeit kommt es heutzutage nach Terroranschlägen zu kollektiven Gefühlsausbrüchen im Internet. Wir protestieren und trauern per Mausklick. Warum schaffen wir solche Massenphänomene?

Stefan Reiß: Grundsätzlich haben wir viele existenzielle Anliegen. Unter anderem Sicherheit, eine gewisse Vorhersagbarkeit in unserer Umgebung und Identität. Terroranschläge gefährden dieses Gefühl von Kontrolle und greifen die Werte unserer Gesellschaft an. Das macht uns unsicher. Wir suchen dann nach Kompensationsmöglichkeiten, um die Kontrolle wiederherzustellen. Etwa, indem wir uns explizit einer Gruppe zugehörig machen, wie beispielsweise durch das „Je suis Charlie“ oder die Einfärbung von Facebook-Fotos. Das schafft ein kollektives Gefühl von Identität und Kontrolle.

Frage: Ist das also weniger ein Ausdruck von Mitgefühl, als eine Handlung für uns selbst? Die uns hilft, mit den eigenen Gefühlen umzugehen?

Stefan Reiß: Beides spielt mit hinein. Aus sozialpsychologischer Sicht geht es darum, dieses Gefühl von Zugehörigkeit darzustellen und Handlungsfähigkeit aufrecht zu erhalten.

Frage: Bei diesen Kampagnen wurde vielfach kritisiert, dass sie nur entstehen, wenn Anschläge oder Katastrophen in Westeuropa stattfinden – nicht bei Anschlägen im Irak oder in Libyen.

Stefan Reiß: Je näher eine Bedrohung an uns dran ist, desto stärker ist unsere Reaktion. Personen, denen wir uns näher fühlen, etwa auf emotionaler oder auch ethnischer Ebene, vermitteln viel eher das Gefühl, dass wir etwas dagegen tun müssen. Die Bedrohung wird als viel näher wahrgenommen.

Frage: Wie sinnvoll ist es, wenn ich mich an dieser Art der Trauerbekundung beteilige?

Stefan Reiß: Auf persönlicher Ebene ist das eine sehr effiziente und effektive Methode, sich gegen diesen Bedrohungszustand zu wehren. Im globalen und sozialen Kontext kann das sehr negativ sein. Wenn die Gruppe, der ich mich zugehörig fühle, negative und anti-soziale Normen vertritt oder fremdenfeindliche Verhaltensweisen befürwortet. Das kann den Konflikt zwischen zwei Gruppen aufrechterhalten oder sogar beschleunigen.

Frage: Ist es also schädlich, daran teilzunehmen, weil solche Bewegungen automatisch ausgrenzen und den Konflikt befeuern können?

Stefan Reiß: Wenn man sich mit „Charlie Hebdo“ oder den Franzosen identifiziert, ist das primäre Ziel nicht die Ausgrenzung gegenüber anderen. Sondern das Schaffen einer gemeinsamen Identität und gemeinsamen Normen: Wir sind eine Einheit, auch wenn ich persönlich wenig Kontrolle habe und bedroht bin – meine Gruppe an sich bleibt stark, homogen und handlungsfähig. Und vertritt gemeinsame Werte. Das kann dann in einem sekundären Schritt dazu führen, dass ich gegenüber Personen, die meinen Gruppennormen widersprechen, extrem abgrenzend werde. Ein Beispiel wäre, Einwanderung negativer wahrzunehmen oder sich mehr gegen Flüchtlingsströme zu stellen.

Foto: Lisi Niesner

Frage: Wie kann ich verhindern, dass es zu diesen negativen Auswirkungen kommt und mich sinnvoll beteiligen?

Stefan Reiß: Wichtig wäre, in der Gruppe Normen zu haben, die pro-sozial sind. Wenn eine Gruppe ein gemeinsames Ziel verfolgt, das eher Pazifismus, Integration oder Multikulturalismus ist, dann kann das in einem Konflikt durchaus positiv wirken.

Frage: Wie stelle ich diese gemeinsamen Normen her? Meist funktionieren diese Bewegungen ja wegen der Einfachheit der Botschaften.

Stefan Reiß: Es kommt darauf an, was man daraus macht. Die Situation nach einem Terroranschlag ist emotional und aufgeheizt. Rationale Gedanken treten in den Hintergrund. Dann kann es sein, dass automatisch nach Normen gegriffen wird, die wie Sümpfe sind, zu einem Schwarz-Weiß-Denken führen und die Welt einfach einteilen. Von hier aus auf positive gemeinsame Normen und ein pro-soziales Handlungsziel zu kommen, ist schwierig. Sollte aber das höchste Ziel sein.

Frage: Wenn ich als Nutzer vor dem Bildschirm sitze und einen Anschlag miterlebe. Dann beginnt sich so etwas zu entwickeln. Wie kann ich daran mitwirken, der Bewegung diese positive Richtung zu geben?

Stefan Reiß: Eine Möglichkeit ist, pro-soziale Normen bewusst zu machen. Wenn nach einer Bedrohung Pazifismus vorgelebt wird. Das führt dann dazu, dass wir weniger aggressiv gegen Personen vorgehen, die unsere Normen verletzen oder angreifen. Wir müssen es schaffen, Pazifismus, Multikulturalismus und Offenheit zur Norm zu machen. Das kann dazu führen, dass wir weniger gegen andere austeilen. Man kann sich einer Gruppe zugehörig fühlen. Es ist aber wichtig, gleichzeitig positive Handlungen auszudrücken. Andere sollten sehen, dass das Ziel der Gruppe nicht ist, Krieg oder militärische Interventionen anzufangen, oder andere auszugrenzen. Vielmehr sollte man aussagen: „Wir als Gruppe wollen offen auf andere zugehen.“

Video & Interview:
Mattthias Sauermann

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Mit Herzblut für den Torf

Der Bürmooser Torferneuerungsverein hat sich zum Ziel gesetzt, ein Stück Natur in der Gemeinde wiederherzustellen, das von Menschenhand stark in Mitleidenschaft gezogen wurde. Die Aufgaben sind vielfältig, nur mit der Hilfe vieler Freiwilliger lässt sich dieses Ziel erreichen. Ein Lokalaugenschein.

Eigentlich kündigt sich gerade ein Gewitter rund um die Gegend des salzburgischen Bürmoos an. Doch Reinhard Kaiser klärt mit einer Gruppe Naturinteressierter gelassen die Frage um das Du-Wort, auf das man sich schnell einigt. Er ist Obmann des Torferneuerungsvereins von Bürmoos und seit über 25 Jahren ehrenamtliches Mitglied. Er kennt den Torf, die Geschichte, die Natur und mittlerweile auch das Wetter. Unbekümmert kehrt er den dunklen Wolken den Rücken zu und beginnt seine Führung durch das Areal des Torfvereins. Immer wieder witzelt er und betont bewusst das harte “T” im Vereinsnamen, “Weil wir ja nun mal kein Dorfverein sind”, sagt Kaiser.

 

Der 67-Jährige und die mehr als 600 Männer, Frauen und Kinder des Vereins haben sich ein Ziel gesteckt: Sie wollen das über Jahrtausende entstandene Torfgebiet rund um Bürmoos wiederherstellen - ehrenamtlich. Und sie haben einiges zu tun. Über neunzig Jahre wurde hier für die Glasindustrie in großen Mengen Torf gestochen. Rücksichtslos wurde mit Gräben das Gebiet entwässert, gerodet und Torf abgebaut. In vielen Arbeitsstunden und mit Liebe zur Natur haben die Mitglieder schon einiges erreicht. So konnten sie beispielsweise das beinahe verschwundene Torfmoos auf größeren Gebieten wieder ansiedeln. Es gelang ihnen auch, den seltenen, insektenfressenden Sonnentau oder die Zwergbirke wieder ansässig zu machen.

Foto: Lisi Niesner

Torf ist ein organisches Sediment, das aus modernden Pflanzen entsteht. Bei den Pflanzen handelt es sich dabei um das sogenannte Torfmoos. Dieses benötigt für das Wachstum einen sehr nassen Untergrund. In Bürmoos entstand dieses Moor in einer riesigen Senke, deren Untergrund Lehm ist. Dieser Lehm hinderte das vor tausenden von Jahren von den umliegenden Gletschern geschmolzene Eis am Versiegen. Mit der Zeit begann der entstandene See mit verschiedensten Pflanzen zuzuwachsen. So entstand ein idealer Nährboden für das Torfmoos. Seit tausenden Jahren wuchsen immer neue Schichten und ließen die alten nach unten sinken. Im Laufe der Zeit entstand dann durch Zersetzungsprozesse der Torf. Qualitativ guter Torf erreicht einen höheren Brennwert als Braunkohle.

46 Prozent der österreichischen Bevölkerung leisten formelle oder informelle Freiwilligenarbeit. Hier unterscheidet man zwischen den tatsächlich zählbaren Mitgliedschaften in Vereinen und Organisationen und den weitreichenden Tätigkeiten im Rahmen einer Nachbarschaftshilfe oder ähnlichem. In Österreich gibt es mehr als 120.000 Vereine. In den letzten fünfzig Jahren hat sich diese Zahl verdreifacht. 2,2 Millionen Österreicherinnen und Österreicher sind in solchen Organisationen tätig. Wenn auch die Ziele unterschiedlich sind, haben die Vereine eines gemeinsam: Alle sind auf freiwillige Mitarbeiter und deren Engagement angewiesen. Und diese Freiwilligkeit bedeutet, auf Freizeit zu verzichten. Doch immer mehr Menschen sind bereit, diese Zeit aufzubringen, um anderen zu helfen.

Reinhard Kaiser imitiert den Kuckuck täuschend echt.

“Der Kuckuck ist bei uns von April bis Juni zu Gast”, sagt Reinhard Kaiser. Doch jetzt haben wir bereits Ende Juni. Er formt die Hände zu einer Kugel, bläst hinein und wie von Zauberhand erklingt täuschend echt der Ruf eines Kuckucks. Ein paar Schritte weiter lässt eine kleine Schneise im Schilf einen schmalen Blick auf den wiederbelebten See zu. Libellen schwirren durch die dunstige Luft, Wasserläufer tummeln sich auf der Oberfläche und Gelsen holen sich ihre Ration Blut. “Nur die Weibchen - die Männchen stechen nicht”, weiß der Obmann. Und so geht die Tour weiter. An vielen, für den Laien unscheinbaren Plätzen, weiß der Naturliebhaber eindrucksvolle Vorgänge zu erzählen. Eben macht die Gruppe wieder Halt vor einem Haufen vertrockneten Schilfs. Die Gäste vermuten natürlich schon einen nicht entdeckten Grund dafür, finden jedoch keine Antwort. “Die Ringelnatter”, so der Obmann, “findet hier im wärmespeichernden Inneren des Haufens optimale Brutbedingungen für ihre Eier.”

Kein Nachwuchsmangel bei den Blaulichtorganisationen

Foto: Lisi Niesner

Auch bei den Blaulichtorganisationen ist das Engagement der Freiwilligen ungebrochen. Robert Schickbauer (links im Bild) ist für die Rekrutierung beim österreichischen Samariterbund in Salzburg zuständig. Er sieht dem künftigen Personalbedarf optimistisch entgegen. “Wir haben ausreichend Nachwuchs. Wir werben schon auch auf Messen und ähnlichen Veranstaltungen, um die Möglichkeiten bei uns aufzuzeigen, aber der tatsächliche Zugang erfolgt meist durch Mundpropaganda oder direkter Kontaktaufnahme. Wir wissen aber auch, dass 62 Prozent der Bürgerinnen und Bürger noch nie persönlich angesprochen wurden. Wir haben also noch Luft nach oben.” Allerdings erkennt er auch einen Trend, der bereits aus dem Berufsleben bekannt ist. “Wir müssen vielleicht künftig bei den Aufgabenverteilungen umdenken”, sagt Robert Schickbauer. “Man bemerkt bei den ehrenamtlichen Mitarbeitern das Bedürfnis, zeitlich flexibler eingesetzt zu werden.” Bisher war es so, dass die Dienstpläne über lange Perioden hinweg festgelegt wurden. Immer öfter aber lassen die Ehrenamtlichen erkennen, dass sie sich kurzfristiger und spontaner einbringen möchten.

Menschen suchen Gleichgesinnte

Auch der Obmann des Bürmooser Torferneuerungsverein bestätigt diesen Trend. Für ihn erklärt sich das so: “In einer immer seelenloser werdenden Arbeitswelt, sehnt sich der Mensch immer mehr nach der Nähe Gleichgesinnter. Es bleibt im Berufsleben keine Zeit mehr für wirklich persönliche Unterhaltungen.” In seinem Verein ist es auch die ländliche Tradition. So ist es etwa ganz normal, dass die Eltern ihre Kinder mit in den Verein bringen. Die Aufgabenverteilung erfolgt je nach Fähigkeit und Interesse. “Mit der Zeit wächst man richtig in den Verein hinein. Und mit der Erfahrung steigt auch die Verantwortung. Viele der Mitglieder gehören bereits seit dem Kindesalter dem Verein an.” So ist es auch nicht verwunderlich, dass aus der mehr als 5.000 Seelen zählenden Gemeinde Bürmoos mehr als 600 Menschen Mitglieder im Verein sind.

Reinhard Kaiser gibt Wissen weiter, damit es auch künftig erhalten bleibt.

Reinhard Kaiser gibt Wissen weiter, damit es auch künftig erhalten bleibt. (Foto: Lisi Niesner)

Die Gewitterwolken haben sich endgültig verzogen und die Gruppe ist wieder an ihrem Ausgangsort angekommen. Der Obmann lädt die Runde zu einem abschließenden Umtrunk ein und gemeinsam werden noch ein paar offene Fragen rund um den Torf beantwortet. Dann verabschiedet sich der 67-Jährige herzlich von den Gästen und ist zufrieden. Denn er weiß, dass auch in zehn Jahren der Verein bestehen und das Gemeinsame weitergelebt werden wird.

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Quiz Engagement

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Merci, dass es dich gibt

Ausgerechnet dann, wenn niemand zu Hause ist, wird der Postler klingeln und das bestellte Paket abliefern. Deshalb einen Tag frei nehmen? Unnötig -  wenn die Nachbarschaftshilfe funktioniert.

Foto: Martin Pabis

Allein die sperrigen Möbel vom Auto in die Wohnung tragen? Ebenso überflüssig. Viel besser: An der Nachbartür klopfen und um Hilfe bitten. Höflich, aber bestimmt. Kleine Gefallen lehnt wohl kaum jemand ab. Es müssen meist nicht Großtaten sein - oft hilft man anderen ungemein, wenn die Katze gefüttert wird, während Frauchen und Herrchen ein paar Tage auf Urlaub fahren wollen.

Stefan Theißbacher (links im Bild) ist 35 Jahre alt. Der Kärntner ist 2001 zum BWL- und Publizistik-Studium nach Wien gezogen. Dort hat er mit Kollegen die gute alte Nachbarschaftshilfe in eine moderne Form gegossen. Auf der Webseite „fragnebenan.at“ treffen sich Menschen, die Hilfe für Alltagsprobleme suchen, mit jenen, die gerne Zeit und Kraft geben, um Handgriffe zu erledigen. Theißbacher ist überzeugt, dass sein Projekt die Welt etwas besser macht.

Großartig:
Besondere Talente braucht man nicht, um Nachbarschaftshilfe zu leisten. Wer Zeit hat, packt an. Für ein paar Tage Blumengießen ist kein Studium der Botanik erforderlich. Eine Leiter aus dem Keller zu tragen und mit dem Nachbarn ein paar Zwetschken vom Baum zu holen, ist nicht einmal anstrengend. Ausschlaggebend ist nach Meinung Theißbachers nicht viel zu können, sondern helfen zu wollen.

Vera Ortner geht kurze Wege, wenn sie tagsüber Unterstützung braucht. Einen Stock über der jungen Mutter wohnt eine Frau, die ebenfalls ein kleines Kind hat. Die Nähe erleichtert es, in Urlaubszeiten die Blumen der anderen zu gießen oder Baby zu sitten.

„fragnebenan“-Gründer Stefan Theißbacher plant Nachbarschaftshilfe nicht nur am PC. Er ist auch selbst einer, der nach Hilfe fragt und seinen Nächsten zur Hand geht.

Wer nicht auf gut Glück an den Türen rundum klopfen möchte, um sich einen Hammer zu leihen oder die Katze im Urlaub nicht auf Diät setzen zu müssen, kann sich auf der Homepage registrieren. Alternativen: das schwarze Brett im Wohnblock oder Laden. Oder – moderner – die eigene Facebook-Pinnwand. Dort passen Fragen wie „Wer nimmt mein Paket an“ oder „Hilfe, mein Laptop spinnt“ ebenso hin, wie „Suche spontan Einmachgläser – habe zu viel Marmelade gekocht“. Edle Spender freuen sich bestimmt, wenn sie als Dank ein Glas Selbstgekochtes zurückbekommen.

Dank Nachbarschaftshilfe muss sich Katze Calvin in Niederösterreich keine Sorgen mehr machen, wer sie füttert, wenn ihre Besitzer auf Urlaub sind. Die Frau nebenan hat einen Schlüssel und öffnet dem Vierbeiner alle zwei Tage eine Dose mit Futter, tauscht das Wasser und streichelt Calvin ein bisschen. (Foto: Michaela Hessenberger)

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Streitet euch richtig

Man muss nicht die Wale retten, den Klimawandel aufhalten oder Hungersnöte bekämpfen, um die Welt besser zu machen. Man kann in der eigenen Familie beginnen. Der Familientherapeut Dr. Rüdiger Opelt gibt Tipps, wie man die Gesprächskultur in politischen Diskussionen in der Familie verbessert.

Frage: Wie diskutiere ich ohne Streit in der Familie, wenn es unterschiedliche politische Ansichten gibt?

Rüdiger Opelt: Grundsätzlich sollte man die Meinung des anderen tolerieren. Aber es ging mir auch schon mit meiner Frau so: Obwohl wir die selbe Partei unterstützen, sind wir uns bei den jüngsten Krisen der Partei in die Haare gekommen. Dann muss man mit dem Diskutieren aufhören und sagen: Wir sind verschiedener Meinung, wir akzeptieren das.

Rüdiger Opelt (Foto: privat)

Frage: Ist dann die einzige Möglichkeit, die Reißleine zu ziehen?

Opelt: Ein gutes Rezept ist auch Zuhören. Als ich Student war, konnte mir mein Vater interessiert zuhören. Auch ein gutes Rezept ist zu fragen: Was meinst du? Wie siehst du das? Damit man dann sagen kann: Jetzt verstehe ich, wie du das meinst und was dir wichtig ist.

Frage: Was kann man in der Diskussion in der Familie lernen?

Opelt: Einerseits Sachliches. Auf der anderen Seite ist die Diskussion immer ein Austausch von Werten. Beide Streitparteien können sich trotz unterschiedlicher Sachthemen für Freiheit einsetzen. Man kann sich also bei den übergeordneten Werten treffen, auch wenn der Weg zum Ziel ein anderer ist.

Frage: Also sollte man in der Diskussion von dem „Wie“ auf das „Was“ schwenken?

Opelt: Genau, das entschärft die Situation meistens. Ganz wichtig ist auch, dass man den anderen nicht abwertet. Zum Streit kommt es immer, wenn der andere schlecht gemacht wird.

Frage: Was mache ich, wenn ich ein Familienmitglied habe, bei dem nur die eigene Meinung zählt?

Opelt: Das ist oft ein Thema in den Familientherapien, dass es einen Tyrannen gibt und der will immer Recht haben. Da ist oft die Strategie der anderen, dass man mit ihm eben nicht diskutiert. Man kann ihn nicht von seiner Meinung abbringen. Man kann ihm auch nicht das Gegenteil beweisen, weil er nicht zuhört. Die beste Strategie, ein unerwünschtes Verhalten zum Verschwinden zu bringen, ist, es zu ignorieren.

Frage: Wie geht man damit um, wenn jemand eine politische Meinung vertritt, die sonst niemand in der Familie vertritt?

Opelt: Man kann immer schweigen. Wenn ich nicht widerspreche, ist die Sache gelöst. Es ist aber auch möglich, Kritik diplomatisch-positiv zu formulieren oder Gegenfragen wie „Was meinst du?“ zu stellen. Eine Technik in der Psychologie ist das Spiegeln. Man hört zu und wiederholt dann, was der andere gesagt hat: „Jetzt verstehe ich, du meinst also, dass …“ Damit ist mein Gesprächspartner zufrieden. Ich habe ihn verstanden und widerspreche ihm auch nicht. Damit kann ich jeden Konflikt stoppen.

Frage: Wenn man anderer Meinung ist, sollte man trotzdem nicht widersprechen?

Opelt: Das man anderer Meinung ist, muss man nicht hervorkehren. Man hat die strategische Wahl zu sagen, jetzt bring ich ihn auf die Palme und schmeiße der Person meine gegenteilige Meinung zurück. Dann provoziere ich aber. Das ist manchmal notwendig. Ich kann jemanden mit Provokation vom Familientisch verjagen. Oder man kann vom Thema ablenken, um den Frieden zu wahren. Es kommt darauf an, was man erreichen will.

Frage: Was macht man, wenn man einen Provokateur in der Familie hat?

Opelt: Das sind die sogenannten Besserwisser. Die politische Meinung ist nur Mittel zum Zweck. Diese Personen wollen sich einfach nur großartig fühlen. Denen muss man schon Grenzen setzen. Da kann man mit Fakten kontern und mit Wissen widerlegen. Oft ist es nur Halbwissen, das diese Personen glauben möchten. Da ist oft nichts dahinter. Es ist meist nur ein Luftballon, in den man nur hineinstechen muss. Dann platzt er.

Frage: Was kann ein junger Mensch machen, der wegen politischer Diskussionen mit seinen Eltern im Streit ist?

Opelt: In den Pubertätsdiskussionen werden die politischen Diskussionen oft verwendet, um sich von den Eltern zu distanzieren. Der Konflikt zwischen den jungen Grünen und Eva Glawischnig war ein typischer Pubertätskonflikt, nur dass sich Glawischnig auch sehr pubertär verhalten hat. (lacht) Was es in der Vergangenheit gegeben hat, dass man sein Kind wegen der politischen Einstellungen vor die Tür setzt, das gibt es seit 50 Jahren nicht mehr. Außer eben bei den Grünen. (lacht)

Frage: Braucht es in der Politik junge Menschen, die mit den alten politischen Vorstellungen brechen?

Opelt: Ja. Die Aufgabe der Erfahrenen ist es, diese zu integrieren und nicht, sie zu verstoßen. Eine Partei, die sich Demokratie auf die Fahnen heftet, darf sich nicht so undemokratisch verhalten und einfach Parteiausschlüsse verhängen.

Fünf Tipps für eine gute Diskussionskultur:

  1. Zuhören
  2. Verstehen
  3. Gemeinsames suchen
  4. Nicht abwerten
  5. Grenzen setzen, aber nur wenn nötig

Frage: Sollte man den Jungen in der Politik mehr Chancen geben, auch wenn der Ansatz ein anderer ist?

Opelt: Man kann deutlich machen, dass es nicht die Parteilinie ist. Aber das ist ja meistens so. Die SPÖ-Jugend hat immer schon auf die Partei geschimpft. Josef Cap, der heute Nationalratsabgeordneter der SPÖ ist, war einer der großen Rebellen im VSSTÖ (Verband Sozialistischer Studenten Österreichs). Kreisky wäre nie auf die Idee gekommen, ihn auszuschließen, weil er so frech war.

Frage: Ist es die Aufgabe der Jugend, frech zu sein?

Opelt: Die Jungen müssen protestieren dürfen und sagen können, dass sie etwas anderes wollen. Nach zehn Jahren bekommen sie auch die Gelegenheit, es zu probieren. Irgendwann kommen sie ans Ruder und setzen dann Vieles um.

 

In unserem Video-Bericht erzählen junge Menschen von ihren Erfahrungen in der Familie. Rüdiger Opelt fasst die fünf besten Tipps zusammen:

Interview & Video:
Cornelia Grotte

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Über’s Sterben reden

Unheilbar kranke Menschen haben meist nicht mehr viel Zeit. Darum schenken ihnen Evelyn Schwarz und Josef Hinterberger die ihre. Die beiden sind Seelsorger und begleiten Todkranke in ihrer schwersten Zeit. Wir haben gefragt, was sie antreibt.

Josef Hinterbergers Sandalen berühren geräuschlos den Boden. Nur manchmal knirscht der Schotter unter seinen Füßen. „Die Kirche befindet sich im Zentrum des Krankenhausgeländes. Das ist historisch so gewachsen“, erklärt er und schaut die beiden Kirchtürme empor. Mit langsamen, bedächtigen Schritten schlendert der weißhaarige, hagere Mann über die Straße vor der Pfarrkirche. „Heute steht bei uns der Mensch im Mittelpunkt“, sagt er.

„Wer bin ich, dass ich jemanden trösten könnte, der bald stirbt?“

Seit 30 Jahren arbeitet der 64-Jährige als Seelsorger im Landeskrankenhaus Salzburg. Der Pastoralassistent hat sein Leben einmal der Kirche verschrieben. „Heute muss ich sie oft hinter mir lassen“, sagt er. In Zeiten, in denen immer weniger Menschen an Gott glauben, betet er seltener mit ihnen. Er hört zu.

Macht Angebote, wie er sagt. „Wenn ein Mensch sehr traurig ist, weil er weiß, dass er nicht mehr lange leben darf, dann sage ich: ‚Schauen Sie, Sie haben so eine Sehnsucht nach dem Leben. Und Sie sind immer noch da‘.“ Darauf könne der Patient eingehen oder nicht. Ihn zu trösten wäre ohnehin unmöglich, meint er: „Wer bin ich, dass ich jemanden trösten könnte, der bald stirbt?“

Mehr als 80.000 Menschen sterben jedes Jahr in Österreich. Die meisten in einem Krankenhaus oder Heim. Auf der Palliativ-Station oder in einem Hospiz geht es nicht mehr darum, Menschen zu heilen. Die Patienten werden dort so behandelt, dass sie ein möglichst schmerzfreies und würdevolles restliches Leben haben können. Meist sind es Menschen mit Krebserkrankungen, die hierher kommen. Doch auch viele andere Krankheiten sind vertreten.

Gerade bei jungen Patienten sei es schwierig. „So unerwartet aus dem Leben gerissen zu werden, ist natürlich besonders dramatisch“, erzählt Hinterberger. Auch nach 30 Jahren gehen ihm solche Fälle noch sehr nahe. Das Seelsorge-Team bekommt eine Supervision, in der solche emotionalen Angelegenheiten aufgearbeitet werden. „Aber wenn mich so etwas kalt lassen würde, dann müsste ich aufhören“, sagt er. Dennoch: Selten lacht Hinterberger so oft und ausgiebig wie mit seinen Kollegen in der Pfarre des Landeskrankenhauses. Man müsse jeden Patienten nach dem Gespräch „emotional zurücklassen“, um sich auf den nächsten einzustellen. Und um sein eigenes Leben leben zu können.

So viele Menschen sterben pro Bundesland in Krankenhäusern und Heimen.

Nicht nur für die Patienten ist die Seelsorge wichtig. Auch ihre Angehörigen brauchen Unterstützung. Besonders schwer sei es, wenn der Patient verstanden hat, dass er sterben wird; die Angehörigen aber noch nicht. „Den Tod zu akzeptieren ist ein langer Weg“, sagt Hinterberger. „Diesen Weg gehe ich mit ihnen mit.“ Und das wird angenommen. Die wenigsten Patienten auf der Palliativ-Station lehnen eine Seelsorge ab. „Das schönste Erlebnis hatte ich einmal mit einer Putzfrau der Station, die nicht Deutsch konnte. Sie hat oft das Zimmer geputzt, während ich mit Patienten gesprochen habe. Irgendwann wurde sie von einer Kollegin vertreten, die Deutsch sprach. Diese sagte mir: ‚Ah, Sie sind der, der den Menschen gut tut. Die Kollegin erkennt das immer an den Gesichtern.“ Es sei für Hinterberger sehr schön, so wahrgenommen zu werden.

Die Palliativ-Krankenschwestern (v.l.) Eva-Maria Köck und Karin Winkler arbeiten eng mit Seelsorger Hinterberger zusammen.

Er zeigt auf ein Gebäude neben dem Park. Umgeben von alten Bäumen, die das Dach des vierstöckigen Komplexes noch weit überragen. Die Palliativ-Station. Mitten im Krankenhausgelände, aber doch eine Insel nur für sich alleine. Vor der Tür wurde eine idyllische Sonnenterrasse aus dicken Holzbrettern für die Patienten erbaut, die von Grünpflanzen umgeben ist, deren Blätter über die Holzwände hängen. Mehr als 1.100 Menschen sind stationär im Landeskrankenhaus Salzburg untergebracht. Aber hier darf niemand hin, außer den Palliativ-Patienten. So sind sie vollkommen ungestört. „Hier ist alles sehr entschleunigt“, sagt Krankenschwester Karin Winkler, die hier gerade Dienst hat. Die Menschen sind oft schwach und brauchen viel Ruhe. „Wir wissen natürlich nicht, wie die Patienten waren, bevor sie zu uns gekommen sind“, sagt sie, „aber ich glaube jeder stirbt so, wie er gelebt hat. Die Menschen verändern sich nicht grundlegend, wenn der Tod vor der Tür steht.“

Mut zur Trauer geben

Im Tageshospiz in der Salzburger Buchholzhofstraße arbeitet die 53-jährige Evelyn Schwarz ehrenamtlich. Sie kocht für die Patienten, die sie nur „Besucher“ nennt. Überzieht manchmal ihre Betten. Aber den Großteil des Tages verbringt sie als Zuhörerin und Seelsorgerin. „Ich möchte den Sterbenden Mut zur Trauer geben“, sagt sie. Trauer und Wut seien Tabuthemen in unserer Gesellschaft. Wie wichtig ein offener Umgang damit ist, musste sie schon als Kind erfahren. Ihre Mutter starb an Krebs, als Schwarz 15 Jahre alt war. „Sicher einer der Gründe, weshalb ich jetzt im Hospiz arbeite“, verrät sie.

Die ehrenamtliche Helferin Evelyn Schwarz in einem der vielen Ruhesessel, in denen sie oft mit ihren „Besuchern“ spricht.

Voraussetzung für die ehrenamtliche Mitarbeit in einem Hospiz ist ein Lehrgang für Lebens-, Sterbe- und Trauerbegleitung. Dieser kostet etwa 1.000 Euro; erstreckt sich auf vier Blöcke über jeweils mehrere Tage und endet in einem 40-stündigen Pflege- und einem ebenso langen Hospiz-Praktikum. Die Kosten bekommen Ehrenamtliche nach einiger Zeit im Hospiz teilweise wieder rückerstattet. Dennoch glaubt Schwarz: „Ehrenamt muss man sich leisten können. Man darf niemanden verurteilen, der keine Zeit dafür findet. Manchen Menschen fehlt auch einfach das Geld dafür.“ Durchschnittlich zwei Mal im Monat ist sie einen Tag lang bei ihren Besuchern. Hört zu, ohne zu urteilen. Ist einfach da.

Im Salzburger Tageshospiz werden Patienten versorgt und am Abend wieder nach Hause gebracht.

Im Salzburger Tageshospiz werden Patienten versorgt und am Abend wieder nach Hause gebracht. (alle Fotos: Markus Feigl)

Durch den Umgang mit todkranken Menschen sehe man vieles gelassener. Bemerke, wie klein und unwichtig manche Probleme seien. Sie sagt: „Wir begleiten Menschen mit einer Krankheit. Nicht kranke Menschen. Der Mensch steht im Vordergrund. Und das tut den Besuchern bei uns sehr gut.“ Diese Ansicht teilt sie mit Josef Hinterberger, der nun im Krankenhauspark steht, die Arme hinter dem Rücken kreuzt und wieder auf die beiden Kirchtürme blickt. Heute macht er seine Arbeit für die Menschen. Am Anfang, vor 30 Jahren, waren die Gründe noch egoistischer, verrät er: „Ich wollte dem Tod auf die Finger schauen. Wollte mir ansehen, was er mit Menschen macht. Dieses Geheimnisvolle. Dieses Abgründige. Das wollte ich erkunden.“ Er geht ein paar Schritte. Dreht sich wieder langsam um. Sagt: „Ich bin dem Tod bis heute nicht auf die Spur gekommen. Er ist immer noch ein Mysterium für mich.“

Autor:
Markus Feigl

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Hetze im Netz: Wie jeder Hasskommentare im Internet bekämpfen kann

Beschimpfungen, Aufrufe zur Gewalt – bis hin zur Verharmlosung des Holocaust. Das Internet wird immer mehr zur Bühne für Extremisten. Wie jeder von uns der Hetze im Netz entgegentreten kann.

„Hackt ihm die Füße ab und lasst ihn laufen“, schrieb ein Mann auf Facebook über einen ausländischen Straftäter. „Diese Ratten“ solle man „ausrotten“. Ein anderer sah „illegal importiertes Gesindel“ und „Rudel von feindlichen Arabern“. Eine Frau schrieb im Zusammenhang mit dem Vernichtungslager Auschwitz von „Lügen“.

In einer aufgeheizten Stimmung, speziell seit dem Höhepunkt der Fluchtkrise im Herbst 2015, stieg zuletzt nicht nur die Anzahl der Verurteilungen wegen Verhetzung, auch werden immer mehr Menschen nach dem Verbotsgesetz verurteilt (siehe Grafik). Dazu trugen auch Kommentare und Inhalte im Internet bei. Hasskommentare wie die eingangs genannten grassieren seit dem Höhepunkt der Fluchtkrise vor zwei Jahren verstärkt im Internet – speziell in sozialen Netzwerken. Gehetzt wird oft gegen Flüchtlinge, aber auch gegen andere Minderheiten und Andersdenkende. Viele User stolpern über solche Inhalte und fragen sich: Was kann ich tun? Die gute Nachricht: Jeder kann sich dagegen etwas tun und das Klima im Internet verbessern – statt solche Nutzer nur zu blockieren oder auszusteigen.

Bedenkliche Kommentare melden

In einem ersten Schritt können Kommentare oder andere Inhalte dem Betreiber der Seite gemeldet werden. Facebook etwa weigert sich jedoch oft, die Inhalte aus dem Netz zu nehmen. Demnach verstoßen hierzulande verbotene Inhalte nicht gegen die „Gemeinschaftsstandards“ des in Irland ansässigen Unternehmens. In Deutschland will man dem mit einem neuen Gesetz entgegen treten, das hohe Strafen androht, falls Inhalte trotz Aufforderung der Behörden nicht gelöscht werden.
Darüber hinaus nehmen das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW), stopline.at oder die Initiative ZARA Meldungen entgegen. Dort werden die Inhalte dokumentiert und über Berichte an die Öffentlichkeit getragen. Das DÖW gibt dem, der sich an die Meldestelle gewandt hat, zudem eine Einschätzung, ob die Kommentare tatsächlich strafrechtlich relevant sein könnten.

Extreme Inhalte anzeigen

Direkt angezeigt werden können sie mit Link und Screenshot bei der NS-Meldestelle des Innenministeriums (siehe Infokasten). Die Behörden sieben dann die relevanten von den irrelevanten Meldungen aus. Jene, bei denen der Verdacht auf ein strafrechtliches Vergehen besteht, werden an die Justiz weitergeleitet. Im Unterschied zum DÖW bekommt man hier keine Antwort, auch wenn Ermittlungen eingeleitet werden. Das Ministerium berichtet jedoch, dass bei immer mehr der Meldungen der Verdacht auf eine Straftat bestehe. „Die Qualität der Meldungen hat sich stark verbessert. 2015 wurden 1.350 von 3.913 Meldungen weiter verfolgt, im vergangenen Jahr waren es dann 1.575 Meldungen – obwohl die Zahl der Meldungen insgesamt mit 3.124 rückläufig war“, erläutert Ministeriums-Sprecher Alexander Marakovits. Die Bevölkerung konnte somit offenbar besser einschätzen, welche Vergehen tatsächlich strafrechtliche Relevanz haben könnten.
Was auffällt: Die Anzahl der Meldungen an die NS-Meldestelle (siehe Grafik) ist in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Das habe einerseits mit der Fluchtkrise zu tun. Andererseits sei das Bewusstsein der Bevölkerung geschärft worden, heißt es dazu aus dem Ministerium. Früher hätten Bedenken bestanden, persönlich zur Polizei zu gehen und Anzeige zu erstatten. Die neue Meldestelle funktioniert deshalb anonym – Daten der User werden also nicht weitergegeben. Nicht selten kommt es nach Meldungen auch zu Verurteilungen. Wie im Falle der Frau, die im Zusammenhang mit dem Vernichtungslager Auschwitz von „Lügen“ schrieb.

Meldestellen und Links zum Thema Hetze im Internet

Mitdiskutieren und so Gegenwind erzeugen

Nachhaltiger ist aber oft die zweite Möglichkeit: Dagegen argumentieren, ruhig und sachlich. So macht es etwa der Wiener Patrick Spychala, der sich als User im Netz gegen Hasskommentare stellt. „Man kann das nicht einfach so stehen lassen. Das bringt diesen Schwachsinn nur wieder in die Mitte der Gesellschaft. Man muss widersprechen“, erläutert Spychala seine Motivation.
Zum Beispiel habe er sich nach dem Tod von 71 Flüchtlingen in einem Kühllaster im August 2015 in Diskussionen eingemischt. Die Flüchtlinge, darunter auch Kinder, waren auf der Flucht im Wagen erstickt. User hätten in sozialen Netzwerken dann kommentiert, „dass man das eh mit denen so machen sollte. Dass man sie einsperrt und erstickt“, erinnert sich Spychala. „Ich frage die Menschen dann, ob sie das wirklich ernst meinen und was andere Menschen so viel weniger Wert macht“, erzählt der 28-Jährige. „Wenn das viele machen, entsteht ein Gegenwind für solche Kommentarschreiber.“ Den spürt dann nicht nur das direkte Gegenüber, sondern auch die vielen stillen Mitleser. Genau um die gehe es hauptsächlich, meint auch Bernhard Weidinger vom DÖW.

Sehr oft seien die Reaktionen der Angesprochenen jedoch positiv, sagt Spychala. Es handle sich vielfach um Kurzschlussreaktionen, die vom Verfasser nicht durchdacht waren. „Man klickt ‚Gefällt mir‘ oder teilt etwas, ohne nachzudenken. Wenn dann jemand sagt: ‚Schau dir das noch einmal an‘, dann kommt oft zurück: Stimmt, das war ein jetzt ein Blödsinn“. Ein Beispiel dafür, was das Engagement jedes Einzelnen bewirken kann.

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