Soziales

Essen für alle: Freiwillige schenken obdachlosen Menschen Zeit

Für Menschen da sein, die nichts haben: Diese Aufgabe hat sich Karin Hoffmann gegeben. Die Arbeit als Freiwillige bei der Essensausgabe im Haus Franziskus der Caritas in Salzburg bereichert auch ihr eigenes Leben.

Punkt 19 Uhr öffnet sich die Tür zur Küche für obdachlose Menschen im Haus Franziskus. Die Wartenden stürmen in die Küche, stellen sich dann ohne Chaos in einer Reihe vor der Plexiglasscheibe an. Hinter dieser steht Karin Hoffmann. Die freiwillige Helferin der Caritas nimmt einen Teller nach dem anderen und füllt ihn mit den Speisen des heutigen Tages: Würstel mit Kartoffeln und Tomate. Am anderen Ende der Scheibe: Strahlende und erwartungsvolle Gesichter. Seit zwei Jahren hilft die selbständige Künstlerin in ihrer Freizeit bei der Notstelle der Caritas für obdachlose Menschen aus.

Im Video-Bericht erzählt sie, wie ihre Aufgaben im Haus Franziskus aussehen und was ihr die Arbeit im Haus bedeutet. Freiwilligen-Koordinatorin Kornelia Vogl berichtet von ihrer Arbeit mit den ehrenamtlichen Helfern und erklärt, wie Interessierte sich engagieren können.

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Deutsch ab dem ersten Tag

Seit dem Beginn der Flüchtlingskrise 2015 haben sich zahlreiche Salzburger dazu bereit erklärt, Flüchtlinge zu unterstützen. In der Mozartstadt engagieren sich immer mehr Menschen, indem sie Flüchtlinge beim Deutschlernen unterstützen.

Seit Juli 2015 gibt es Sprachtrainings für Flüchtlinge, die vom Diakoniewerk Salzburg konzipiert wurden. "Der Grund dafür war, dass das Geld für die Sprachkurse ausgegangen war und eine Lösung auf freiwilliger Basis erfolgen musste", sagt Brigitte Leister, die verantwortliche Koordinatorin im Diakoniewerk. Während die Kurse anfangs nur in der Stadt sowie im Umland Salzburgs stattfanden, konnte das Projekt im Laufe der vergangenen zwei Jahre auf das ganze Bundesland ausgeweitet werden.

Foto: Marlene Breineder

Wöchentliche Sprachtrainings

Mittlerweile finden beispielsweise im Flüchtlingsquartier in Bergheim in Salzburg wöchentliche Sprachtrainings statt. Eine Einheit dauert bis zu zwei Stunden. Sie wird in Gruppen - abhängig vom jeweiligen Sprachniveau - durchgeführt. Diese Sprachtrainings werden stets von Koordinatoren begleitet. Wichtig bei diesen Deutschtrainings ist, dass die Inhalte immer auf spielerische Weise erlernt werden. "Das macht nicht nur mehr Spaß, sondern stärkt ganz nebenbei auch die Gemeinschaft", sagt Leister. Die regelmäßigen Trainings finden ab dem Zeitpunkt statt, ab dem die Flüchtlinge in Österreich angekommen sind. Das heißt, dass auch Kinder ab dem ersten Tag ihrer Ankunft mit dem Erlernen der deutschen Sprache beginnen.

Bekommen vieles zurück

Die Fortschritte der Geflüchteten machen sich schnell bemerkbar. Verantwortlich dafür sind vor allem die vielen ehrenamtlichen Helfer, die sich für diese Trainings zur Verfügung stellen. „Es ist nicht nur ein Geben. Wir bekommen auch so vieles von den Asylwerbern zurück“, betont Brigitte Leister. Für die freiwillige Koordinationsleiterin sind zwei Dinge bei ihrer Arbeit besonders wichtig: Zum einen eine gute Begleitung der Freiwilligen, da sie den Flüchtlingen ihre Zeit schenken. Zum Anderen die Asylwerbenden selber. „Sie sollen das erhalten, was sie brauchen: Beziehung, Integration und den Erfolg, dass sie uns verstehen können“, sagt Leister. Freiwillige Sprachtrainer sind im Team von Brigitte Leister immer herzlich willkommen.

Wir haben mit der freiwilligen Koordinationsleiterin Brigitte Leister über das Projekt „freiwillige Sprachtrainings für Flüchtlinge“ gesprochen:

Nähere Informationen: brigitte.leister@diakonie.at

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Einsatz ist keine Frage der Zeit

Robert Schickbauer ist 30 Jahre alt, Wirtschaftspädagoge und ehrenamtlich für den Samariterbund tätig. Warum der Salzburger jede Woche einen Teil seiner Freizeit für die Gesellschaft opfert und was die bislang größte Herausforderung für ihn war, darüber spricht er im Interview:

(Musik: "Vengeful" von Blue Dot SessionsQ  |  Quelle: Free Music Archive  | CC BY NC)

Schickbauer entschloss sich während seiner Zeit als Zivildiener für ein Ehrenamt: „Das hat mir eine ganz neue Welt eröffnet. Ich war bis zu dem Zeitpunkt immer der Meinung, dass das nichts für mich ist.“

„Die Arbeit als Ehrenamtlicher verlangt einem viel ab, gibt aber mindestens ebenso viel zurück“.

Für Schickbauer ist Ehrenamt Ehrensache. Vier bis acht Stunden die Woche investiert der 30-Jährige, Freiwillige für soziale Arbeit zu begeistern und die Finanzen des Samariterbundes zu steuern. Vier bis acht Stunden, in denen er sich mit anderen Dingen beschäftigen könnte. Warum er das nicht tut? „Nichts machen ist für mich keine Alternative“, sagt er.

Foto: Lisi Niesner

2010 war Schickbauer mitverantwortlich für die Katastrophenhilfe in Haiti – die bislang größte Herausforderung für ihn. Stressresistenz und die Fähigkeit, fest an eine Sache zu glauben, habe er dort erworben. Diese Kompetenzen nutzt er nun im eigenen Unternehmen, das Firmen unter anderem bei Teambuilding und Mitarbeiter-Führung unterstützt. Soziales Engagement, so der junge Mann, sei keine Frage der Zeit: „Ganz nüchtern gesehen hat jeder gleich viel Zeit. Man setzt die Prioritäten und dann fällt halt hinten etwas raus, das niedrig priorisiert ist.“

„Jeder hat gleich viel Zeit. Es kommt nur auf die jeweiligen Prioritäten an“.

Weitere Infos unter: www.samariterbund.eu

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Hundertmal rutschen

Das Salzburger Projekt „Gemeinsam wachsen“ vermittelt ehrenamtliche Paten für Kinder psychisch erkrankter Eltern. Nicht nur die Schützlinge profitieren von dieser besonderen Beziehung.

Immer sonntags steht der fünfjährige Elias (Name geändert) auf dem Balkon und hält Ausschau. Sobald seine Mutter den Namen „Jenny“ ausgesprochen hat, sucht der Fünfjährige nach deren Wagen. Bei jedem schwarzen Auto ruft er: „Das ist sie. Da ist die Jenny!“. Manchmal drei Stunden lang. Bis sie dann wirklich pünktlich um 14 Uhr ihren schwarzen VW Polo vor dem Haus parkt, um ihn für vier Stunden abzuholen. Wie jeden Sonntag.

Jenny Cox ist Elias’ Patentante. Die 25-Jährige engagiert sich ehrenamtlich im Verein JoJo, der Kinder psychisch erkrankter Eltern und ihre Familien unterstützt. Der Name des Vereins leitet sich vom bekannten Kinderspielzeug ab. Das Auf und Ab eines Jojos soll die schwierigen Lebensumstände der Kinder von psychisch erkrankten Eltern widerspiegeln. Das Projekt „Gemeinsam wachsen“ des Vereins vermittelt diesen Kindern eine Bezugsperson, die sich einmal pro Woche einen halben Tag um sie kümmert. Ende 2016 hat sich Jenny Cox als Patin für das Projekt beworben – und wurde Anfang des Jahres mit dem kleinen Elias „gematcht“. So nennt die Geschäftsführerin des Vereins, Heidemarie Eher, den Zuteilungsprozess. Der Bedarf, diese Kinder zu unterstützen, ist groß: „Ein Drittel von ihnen wird aufgrund der Ausnahmesituation selbst dauerhaft psychisch erkranken. Ein weiteres Drittel psychisch beeinträchtigt. Und nur ein Drittel bleibt gesund. Unser Ziel ist, diese Zahl zu erhöhen“, sagt die 38-Jährige.

Stabilität und Zeit schenken

Was diesen Kindern hilft, gesund zu bleiben? Zum Beispiel die Betreuung durch einen gesunden Paten, wie Heidemarie Eher sagt. Eine stabile und erwachsene Bezugsperson von außerhalb der Familie sei für die Kinder ein ganz wesentlicher Faktor, um gesund zu bleiben. Seit über einem Jahr gibt es deshalb das Patenschaftsprojekt unter dem Dach des Vereins JoJo. Die Familien, die Betreuung bei JoJo suchen, werden zunächst in einem allgemeinen Programm aufgefangen und von Therapeuten betreut. Aufklärung über die jeweilige Krankheit ist das erste Ziel. Darüber sprechen lernen, vor allem auch mit den eigenen Kindern, gehört dazu. Erst im nächsten Schritt kann bei Interesse ein Pate gesucht werden – entweder als Unterstützung für die ganze Familie oder nur für ein Kind.

Jenny Cox ist als Patentante ehrenamtlich tätig. (Foto: Anna-Maria Schäfer)

Welche Kriterien muss ein gesunder, erwachsener Mensch noch erfüllen, um sich als Pate bewerben zu können? Vorurteilsfreiheit gegenüber Menschen, die psychische Erkrankung haben, ist die Grundvoraussetzung. Man muss sich gern mit Kindern umgeben wollen. Und Zeit haben – ein halber Tag pro Woche ist die Anforderung. Außerdem soll der Wunsch für eine langjährige Beziehung bestehen, wie Eher sagt: „Das ist der Inhalt der Patenschaft. Dadurch, dass unsere Kinder überdurchschnittlich oft Beziehungsabbrüche im Alltag erleben, ist genau diese Stabilität wichtig.“

Das ist auch Patin Cox bewusst: „Ich hole Elias immer gleich ab. Immer mit dem Auto. Seine Mama bringt ihn runter, dann begrüßen wir uns. Das sind feste Abläufe, an die gewöhnt sich ein Kind – und die vermitteln totale Stabilität und Sicherheit.“ Auch der Abschied der beiden ist an ein Ritual geknüpft. Wenn er brav war, darf er sich beim Heimfahren ein Pickerl aussuchen. „Da freut er sich immer. Am liebsten möchte er mir gleich im Auto zeigen, welches Pickerl er sich ausgesucht hat. Da merke ich, dass ihm auch mein Feedback sehr wichtig ist“, sagt die Studentin.

Ein gesundes Umfeld

Patin Jenny Cox hat sich bereits als Jugendliche ehrenamtlich in ihrer Heimat Tirol engagiert. Für ihr Studium der Sozialen Arbeit ist sie nach Salzburg gezogen. Hier hat sie nach einer neuen ehrenamtlichen Tätigkeit gesucht. In einer Zeitung las sie vom Projekt „Gemeinsam wachsen“ – und bewarb sich. Es folgten Gespräche mit Heidemarie Eher sowie einer Psychologin der Vereins. Ein Besuch in ihrer Wohnung gehörte ebenso zum Eignungstest. Da die Paten auch Zeit mit ihren Schützlingen zuhause verbringen, muss dort ebenfalls ein „gesundes Umfeld“ gegeben sein.

Weitere Paten gesucht

Derzeit gibt es im Projekt vier Patenschaften: eine reine Kinderpatenschaft und drei Familienpatenschaften. Bei diesen hat die Patin auch intensiven Kontakt mit den Eltern und entlastet diese – sie ist Ansprechperson für alle und unterstützt beispielsweise bei Behördengängen. Die aktuell betreuten Kinder sind zwischen zehn Monaten und acht Jahren alt. Fünf Kinder haben derzeit noch keinen Paten, es besteht also noch Bedarf, wie Eher erzählt. Doch der Prozess ist aufwendig: Rund sieben Gespräche werden vorab geführt, bis Pate und Kind zusammengebracht werden. Mit dieser langen Auswahlzeit möchte der Verein sicherstellen, dass beide wirklich zueinander passen, wie sie sagt: „Beziehungsabbrüche kennen unsere Kinder genug.“

Der erste gemeinsame Ausflug

Nach mehreren Wochen der Vorbereitung stand fest: Der fünfjährige Elias, dessen Mutter unter psychischen Problemen leidet, sollte Jenny Cox’ Patenkind werden. Es folgte ein Kennenlerntermin gemeinsam mit der Therapeutin, mit Elias, seiner Mutter, Heidemarie Eher sowie der zukünftigen Patin. Kurz darauf dann das erste Treffen zwischen Patin und Kind allein. Cox entschied sich für einen Zoobesuch mit dem Fünfjährigen. „Am Anfang war er natürlich sehr schüchtern. Aber ich war auch nervös.“ Der Ausflug half, das Eis zu brechen. Seit diesem Nachmittag ist die Beziehung der beiden kontinuierlich gewachsen. Die Studentin trifft ihr Patenkind jeden Sonntag für vier Stunden. Sie gehen gemeinsam auf den Spielplatz, basteln oder kochen bei ihr zuhause. „Ich glaube es ist wichtig, dass man das Kind dort abholt, wo es steht. Und im Tempo des Kindes mit ihm arbeitet. Wenn Elias und ich das Gefühl haben, wir müssen jetzt auf dem Spielplatz hundertmal rutschen – dann gehen wir hundertmal rutschen. Fertig.“

Bereicherung und Freude

Dieser Sonntagnachmittag bedeutet zugleich eine Entlastung für Elias’ Mutter. „Bei Familien mit psychischen Erkrankungen sind oft Schuldgefühle da“, sagt Jenny Cox. „Weil der Elternteil merkt, dass man dem Kind nicht alles geben kann.“ Deshalb ist sich die Studentin sicher, die Mutter gebe ihr Elias immer gern mit – im Wissen, er habe in diesen Stunden eine gute Zeit. „Für mich sind diese Treffen genauso eine Bereicherung und Freude“, so die 25-Jährige.

Und wenn sich herausstellt, dass die Beziehung zwischen Kind und Pate doch nicht langfristig klappt? Kommunikation ist das Um und Auf: Alle sechs Wochen treffen sich alle Paten und tauschen sich aus. Für jedes Paten-Kind-Tandem ist zudem eine eigene Ansprechperson da. Auch Supervisionsgespräche mit den Psychologen werden bei Bedarf angeboten. Und zur Not wird die Patenschaft beendet – was ebenfalls schon vorgekommen ist, wie Heidemarie Eher sagt. Ein loser Kontakt zwischen ehemaliger Patin und Familie sei aber noch immer da, wie sie erzählt – zum Wohle des Kindes.

Fragt man Heidemarie Eher nach dem bewegendsten Moment ihrer Tätigkeit bei JoJo, werden ihre Augen feucht. Der ist gerade einmal ein paar Tage her. Sie sagt: „Ich habe gespürt, dass Jenny und Elias jetzt so richtig in Beziehung sind. Wenn das Kind so profitiert und auch die Patin eine solche Freude hat – das ist total schön.“

Heidemarie Eher leitet den Verein JoJo. (Foto: Michael Bartholomäus Egger, Startseite: Verein JoJo/iStockphoto)

Der Verein JoJo sucht derzeit nach weiteren weiblichen und männlichen Paten. Wer Interesse hat, kann sich bei der Geschäftsführerin Heidemarie Eher melden:

www.gemeinsam-wachsen.at
Tel.: 0664/1633497

Am 20. Juli 2017 findet ein Infoabend im Vereinsbüro in der Lessingstraße 6 in Salzburg statt.

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Ein Zeichen gegen das Vergessen

Gedenkdiener sind junge Menschen, die Holocaust-Opfern auf der ganzen Welt ihre Zeit widmen. Sie arbeiten in Pflegeheimen und hören den Menschen zu, betreuen Archive oder machen Führungen in Gedenkstätten. Einer von ihnen, Max Lehmann, spricht über seinen Einsatz im Altenpflegeheim "Hirsch" in Buenos Aires.

"Meine Devise ist: Bring sie noch einmal zum Lachen, Max." (Foto: Cornelia Grotte)

Lebhaft, offen, kommunikativ. So wirkt Max Lehmann, während er von seinem Jahr als Gedenkdiener in einem Pflegeheim in Buenos Aires erzählt. Man sieht ihm die Begeisterung für seine Arbeit im Heim an. Seine Augen strahlen, wenn er über seine Zeit in Argentinien spricht. "Ein guter Freund von mir machte vor fünf Jahren in Israel Gedenkdienst“, sagt er. „Daher habe ich begonnen, mich darüber zu informieren und mich entschieden, nach Südamerika zu gehen."

Rund um Weihnachten 2014 bekam der WU-Student die Zusage des Vereins Gedenkdienst. Von August 2015 bis September 2016 arbeitete er im Pflegeheim. Schon vor seinem Einsatz in Buenos Aires hatte sich der Student mit dem Holocaust auseinandergesetzt. „Der Verein Gedenkdienst schaut stark darauf, dass junge Männer und Frauen an die Stellen geschickt werden, die sich mit dem Holocaust beschäftigen“, sagt er. Der Verein biete in Wien Mittwochstreffen an. „Dort kommen die Leute im Büro oder in Museen zusammen und reden über ein bestimmtes Thema des Holocaust."

Jeder ist geeignet

Auf die Frage, ob jeder für den Gedenkdienst geeignet ist, hat der Wiener eine klare Antwort: „Der Verein möchte nicht nur Gymnasiasten oder Leute aus einem progressiven Elternhaus ansprechen“, sagt er. Sondern auch Lehrlinge, aus Wien und den anderen Bundesländern.

Der 20-Jährige hatte sich vor seinem Auslandsjahr hauptsächlich Gedanken darüber gemacht, wie er seinen Horizont erweitern könnte. „Ich habe mir einen Plan gemacht, was ich alles in dem Jahr erreichen will: Tagebuch schreiben, ein Instrument und eine neue Sprache lernen. Ich habe jedoch nur die Hälfte umgesetzt, obwohl es ein irrsinnig geiles Jahr war." Die ersten Tage in Buenos Aires waren für Max Lehmann nicht leicht. Alleine am ersten Wochenende in der Fremde lernte der junge Gedenkdiener 30 neue Leute kennen, die auch im Pflegeheim arbeiteten. In einer Stadt, in der nur Spanisch gesprochen wird, und umgeben von fremden Menschen, war der Anfang schwer. Trotzdem fand sich der 20-Jährige schnell zurecht. Lehmann hatte sich dort sogar so gut eingelebt, dass er sich nach dem Auslandsjahr schwer tat, wieder Deutsch zu sprechen. „Ich habe die letzten Monate nur noch Spanisch gesprochen, die Zunge bewegt sich ganz anders“, sagt Lehmann.

Immer ein offenes Ohr

Bei der Arbeit im Altersheim gefiel dem Wiener vor allem der Kontakt zu den Menschen und die Gespräche mit den Heimbewohnern. „Es ist wie ein stiller Vertrag zwischen uns“, sagt er. „Sie wissen, dass ich ein Jahr da bin und ich weiß, dass ich ein Jahr da bin. Daher machen wir das Beste daraus. Wir Gedenkdiener haben immer ein offenes Ohr."

Besonders gerne wurde über Fußball gesprochen. „Da war ein junger Mann, er war zirka 25 und hatte einen schweren Arbeitsunfall und dadurch nur noch eine Gehirnhälfte. Mit ihm habe ich viel geredet, weil er Fan meines Lieblingsfußballklubs war“, sagt er. Es sei lustig gewesen, weil in Argentinien Fußball wie Religion ist. „Es ging nicht jeden Tag um das bedrückende Thema des Holocaust, sondern es war eher ein Ins-Reden-Kommen über das Wetter, Wehwehchen, Fußball, Politik und das Essen." Von einer Dame habe Lehmann sogar versucht, etwas Hebräisch zu lernen. „Aber das hat nicht gut geklappt", erinnert er sich zurück. Im Heim war Max Lehmann dafür verantwortlich, in der Früh die Zeitungen auszuteilen, mit den Leuten zu reden, auch einmal im Kiosk des Altersheimes zu stehen und die älteren Menschen ein bis zweimal in der Woche zum Supermarkt zu fahren.

Gedenkdienstvereine:

Verein GEDENKDIENST
Margaretenstr. 166
1050 Wien
Österreich
E-Mail: office@gedenkdienst.at

Verein Niemals Vergessen
Johann Böhm Platz 1
1020 Wien
Österreich
E-Mail: sj@niemalsvergessen.at

 

Österreichischer Auslandsdienst
Hutterweg 6
6020 Innsbruck
Österreich
E-Mail: info@auslandsdienst.at

Opfer des Krieges

Wenn Max Lehmann über den Holocaust spricht, wird seine Miene ernst und er denkt lange nach, bevor zu erzählen beginnt. Er erinnert sich an eine deutsche Dame. Sie feierte ihren 105. Geburtstag, als Lehmann im Pflegeheim in Buenos Aires zu arbeiten begann. „Rebecca hat gerne davon erzählt, dass sie sich an das Ende des Ersten Weltkrieges erinnern konnte, auch wenn sie damals vier oder fünf Jahre alt war. Sie erzählte, wie die Leute in Berlin damals gejubelt haben, weil dieser blöde Krieg endlich vorbei war." Lehmanns Blick wandert in die Ferne, als er sagt: "Über den Zweiten Weltkrieg erzählte Rebecca, dass die Hälfte ihrer Familie im Konzentrationslager umgekommen ist.“ Lehmann erzählt, dass sich die Leidensgeschichte vieler Holocaust-Flüchtlinge nicht auf ein Lebensereignis beschränkt. „Sie haben viele Menschen im KZ verloren“, sagt er. „Oft erzählen sie, dass sie bei der Flucht alles verloren haben. In Südamerika haben sie viel Schreckliches in den faschistischen Militärregimen von damals noch einmal erlebt."

Als die Nazis einmarschierten

Besonders betroffen wirkt der Student, als er über Heimbewohner aus Wien erzählt: „Ich habe mich mit zwei Damen aus Wien gut verstanden. Mit ihnen konnte ich darüber reden, wie ihr Wien war und wie mein Wien ist“, sagt Lehmann. „Ich kann kein einziges Heurigenlied singen und die beiden können noch immer jedes Lied auswendig. Und das nach siebzig, achtzig Jahren."

Die Geschichte einer Wienerin berührte den 20-Jährigen besonders. Als Max Lehmann darüber spricht, verschwindet seine Lebhaftigkeit ein wenig. Er wirkt traurig. Es ist ihm sichtlich etwas unangenehm, aber spricht weiter: „Die Trixie war aus einem sehr reichen Modehaus. Ihre Mutter war Schneiderin. Sie ist im ersten Bezirk aufgewachsen und konnte von dem Salon heruntersehen, als die Nazis einmarschierten. Sie hat mir auch erzählt, dass sie leidenschaftliche Pianistin war. Das Erste, was ihr die Nazis weggenommen haben, war ihr Flügel. Damals war sie elf Jahre alt.“

Die eigene Gebrechlichkeit

Aber nicht nur die Vergangenheit und der Holocaust beschäftigten die Heimbewohner. Auch die eigene Gebrechlichkeit, Abhängigkeit und der Tod waren ein großes Thema. „Alleine gelassen zu werden, abhängig sein von anderen, den Lebensstandard verlieren. Das waren Themen, die die Menschen beschäftigten.“ Die Menschen in dem Altersheim seien oft reich gewesen. „Wenn man dann von einem großen Haus in der Stadt mit all seinen sozialen Kontakten in ein kleines Zimmer zieht, ist das ein extremer Einschnitt", sagt Max Lehmann.

Zum ersten Mal in seinem Leben setzte sich der Österreicher auch mit dem Thema Tod auseinander. „Bei vielen bekommt man mit, wie sie körperlich und geistig leiden. Daher verabschiedet man sich innerlich von den Leuten, weil man weiß, dass sie nicht mehr lange leben werden“, sagt er. Lehmanns Devise war immer: „Bring sie einmal noch zum Lachen, Max."

Der Student wird nachdenklich, als er sagt: „Man muss mit der Art, wie ein Altersheim so etwas kommuniziert, klarkommen“, sagt er. “Ich habe über den Tod eines Bewohners immer nur über ein schwarzes Brett erfahren. Wenn ich gesehen habe, dass ich den Namen am Brett nicht kenne, habe ich einen kurzen Moment der Erleichterung gespürt.“

Verlorene Heimat

Schnell wechselt der 20-Jährige zu einem erfreulicheren Thema: "In der Zeit, als ich in Südamerika war, lief die Präsidentschaftswahl in Österreich“, sagt er. „Den fünf oder sechs Österreichern, die noch dort lebten, haben wir ermöglicht, an der Wahl teilzunehmen. Mit 93 Jahren haben sie zum ersten Mal in ihrem Leben gewählt. Bei der Stichwahl im Mai 2016 wollten die Damen vor allem ein Zeichen gegen die FPÖ setzen", sagt Lehmann.
Auch wenn sich die wenigen Österreicher in dem Pflegeheim in Buenos Aires noch mit ihrer Heimat verbunden fühlen, können sie die Vergangenheit nicht vergessen: "Sie sehen Österreich schon als ihre Heimat an, aber als ihre verlorene Heimat. Sie wollen und können nicht mehr vergeben oder vergessen“, sagt Lehmann. „Freunde, Bekannte, Verwandte wurden ermordet. Ihre Existenz wurde ihnen genommen."

Auf die Frage, wann er beim Gedenkdienst an seine Grenzen gestoßen ist, wird Max Lehmann selbstkritisch. „Was mich noch immer stört ist, dass die Unterschiede zwischen Österreich und Argentinien so stark sind. Leute, die sechs oder sieben Tage die Woche als Pflegekraft, Physiologe oder Putzkraft arbeiten, verdienen nicht viel mehr als ich. Und ich gehe dort hin als junger, naiver Europäer, der irgendwie den Gedanken hat, ich erlebe ein neues Abenteuer. Während die Leute dort neben dem Heim in ganz einfachen Hütten leben. Ich bekam für mein Erlebnis mehr Geld als sie fürs Arbeiten."

Autorin:
Cornelia Grotte

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Für einen Tag das Augenlicht ausleihen

Autofahren. Kräftig aufs Gaspedal treten und auch mal den Vorfahrenden beschimpfen, weil er zu langsam fährt. Für uns alle ist das ganz normal, fast schon eine lästige Pflichtübung. Für Sebastian Traugott ist es eine Ausnahme. Der junge Mann ist blind. Er darf ans Steuer und wird dabei durch die Augen von Fahrprofi Heimo Egger geleitet.

Der Motor des Jeeps röhrt auf. Die Vorderräder hängen kurz in der Luft. Der Geländewagen erklimmt einen zwei Meter hohen Erdhügel. Was beim Fahren vor sich geht, sieht nur Copilot Heimo Egger. Für den jungen Mann am Steuer sind die Seitenspiegel nur Beiwerk. Sebastian Traugott ist blind. Er lauscht konzentriert den Ansagen seines Beifahrers. „Du hast noch eine Handbreite bis zum Hindernis, ruhig etwas mehr Gas, links einschlagen. Perfekt. Geschafft.“ Heimo Eggers Stimme führt Sebastian Traugott durch den gesicherten Parcours.

Wie kommt man auf die Idee, blinde Jugendliche Auto fahren zu lassen?

Heimo Egger ist Skipper, Mitglied der „Mirno More Friedensflotte Salzburg“ und begeisterter Offroad-Fan. Bei einem Turn der Friedensflotte vor sechs Jahren war Egger an Bord eines Segelschiffes und wurde Zeuge, als Sebastian Traugott nur durch sein Gespür für Wind und seinem geschulten Gehör, das Segelschiff durch die Kornaten, eine Inselgruppe in der kroatischen Adria, navigierte.


„Ich war so beeindruckt, als Sebastian ganz allein das Schiff navigierte. Ich dachte mir, wenn blinde Kinder ganze Schiffe über das Meer leiten können, dann können sie auch Auto fahren."

 

Die Mirno More Friedensflotte ist das größte europäische Segelsozialprojekt. Durch das Zusammenleben an Bord bekommen blinde Kinder mehr Selbstvertrauen.

Heimo Egger hat seine Idee, blinde Jugendliche autofahren zu lassen, mit dem Vorsitzenden von „Mirno More Salzburg“, Ingo Ingram, besprochen. Der war sofort begeistert. Ebenso wie Heinrich Albert, der Obmann des Offroad Clubs „4x4 Salzburg“. Seit der Geburt der Idee treffen sich Mitglieder beider Vereine einmal im Jahr an einem ganz besonderen Tag. In einem gesicherten Areal können blinde Kinder und Jugendliche Offroad-Luft schnuppern. Die geübten Fahrer von 4x4 Salzburg treten ihren Platz hinter dem Lenkrad ab und setzen sich auf den Beifahrersitz. Nur mit ihrer Stimme führen sie ihre Schützlinge an Hindernissen vorbei.

„Beinahe jeder fährt Auto. Viele sind in Auto-Clubs. Für mich ist es kein Aufwand, blinde Menschen mit meinem Wagen fahren zu lassen. Für sie bedeutet es aber die Welt“, sagt Heimo Egger.

Fotos: mytribephoto (9)

Weiterführende Informationen:

Autorin:
Martina Moser

 

und

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Merci, dass es dich gibt

Ausgerechnet dann, wenn niemand zu Hause ist, wird der Postler klingeln und das bestellte Paket abliefern. Deshalb einen Tag frei nehmen? Unnötig -  wenn die Nachbarschaftshilfe funktioniert.

Foto: Martin Pabis

Allein die sperrigen Möbel vom Auto in die Wohnung tragen? Ebenso überflüssig. Viel besser: An der Nachbartür klopfen und um Hilfe bitten. Höflich, aber bestimmt. Kleine Gefallen lehnt wohl kaum jemand ab. Es müssen meist nicht Großtaten sein - oft hilft man anderen ungemein, wenn die Katze gefüttert wird, während Frauchen und Herrchen ein paar Tage auf Urlaub fahren wollen.

Stefan Theißbacher (links im Bild) ist 35 Jahre alt. Der Kärntner ist 2001 zum BWL- und Publizistik-Studium nach Wien gezogen. Dort hat er mit Kollegen die gute alte Nachbarschaftshilfe in eine moderne Form gegossen. Auf der Webseite „fragnebenan.at“ treffen sich Menschen, die Hilfe für Alltagsprobleme suchen, mit jenen, die gerne Zeit und Kraft geben, um Handgriffe zu erledigen. Theißbacher ist überzeugt, dass sein Projekt die Welt etwas besser macht.

Großartig:
Besondere Talente braucht man nicht, um Nachbarschaftshilfe zu leisten. Wer Zeit hat, packt an. Für ein paar Tage Blumengießen ist kein Studium der Botanik erforderlich. Eine Leiter aus dem Keller zu tragen und mit dem Nachbarn ein paar Zwetschken vom Baum zu holen, ist nicht einmal anstrengend. Ausschlaggebend ist nach Meinung Theißbachers nicht viel zu können, sondern helfen zu wollen.

Vera Ortner geht kurze Wege, wenn sie tagsüber Unterstützung braucht. Einen Stock über der jungen Mutter wohnt eine Frau, die ebenfalls ein kleines Kind hat. Die Nähe erleichtert es, in Urlaubszeiten die Blumen der anderen zu gießen oder Baby zu sitten.

„fragnebenan“-Gründer Stefan Theißbacher plant Nachbarschaftshilfe nicht nur am PC. Er ist auch selbst einer, der nach Hilfe fragt und seinen Nächsten zur Hand geht.

Wer nicht auf gut Glück an den Türen rundum klopfen möchte, um sich einen Hammer zu leihen oder die Katze im Urlaub nicht auf Diät setzen zu müssen, kann sich auf der Homepage registrieren. Alternativen: das schwarze Brett im Wohnblock oder Laden. Oder – moderner – die eigene Facebook-Pinnwand. Dort passen Fragen wie „Wer nimmt mein Paket an“ oder „Hilfe, mein Laptop spinnt“ ebenso hin, wie „Suche spontan Einmachgläser – habe zu viel Marmelade gekocht“. Edle Spender freuen sich bestimmt, wenn sie als Dank ein Glas Selbstgekochtes zurückbekommen.

Dank Nachbarschaftshilfe muss sich Katze Calvin in Niederösterreich keine Sorgen mehr machen, wer sie füttert, wenn ihre Besitzer auf Urlaub sind. Die Frau nebenan hat einen Schlüssel und öffnet dem Vierbeiner alle zwei Tage eine Dose mit Futter, tauscht das Wasser und streichelt Calvin ein bisschen. (Foto: Michaela Hessenberger)

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Streitet euch richtig

Man muss nicht die Wale retten, den Klimawandel aufhalten oder Hungersnöte bekämpfen, um die Welt besser zu machen. Man kann in der eigenen Familie beginnen. Der Familientherapeut Dr. Rüdiger Opelt gibt Tipps, wie man die Gesprächskultur in politischen Diskussionen in der Familie verbessert.

Frage: Wie diskutiere ich ohne Streit in der Familie, wenn es unterschiedliche politische Ansichten gibt?

Rüdiger Opelt: Grundsätzlich sollte man die Meinung des anderen tolerieren. Aber es ging mir auch schon mit meiner Frau so: Obwohl wir die selbe Partei unterstützen, sind wir uns bei den jüngsten Krisen der Partei in die Haare gekommen. Dann muss man mit dem Diskutieren aufhören und sagen: Wir sind verschiedener Meinung, wir akzeptieren das.

Rüdiger Opelt (Foto: privat)

Frage: Ist dann die einzige Möglichkeit, die Reißleine zu ziehen?

Opelt: Ein gutes Rezept ist auch Zuhören. Als ich Student war, konnte mir mein Vater interessiert zuhören. Auch ein gutes Rezept ist zu fragen: Was meinst du? Wie siehst du das? Damit man dann sagen kann: Jetzt verstehe ich, wie du das meinst und was dir wichtig ist.

Frage: Was kann man in der Diskussion in der Familie lernen?

Opelt: Einerseits Sachliches. Auf der anderen Seite ist die Diskussion immer ein Austausch von Werten. Beide Streitparteien können sich trotz unterschiedlicher Sachthemen für Freiheit einsetzen. Man kann sich also bei den übergeordneten Werten treffen, auch wenn der Weg zum Ziel ein anderer ist.

Frage: Also sollte man in der Diskussion von dem „Wie“ auf das „Was“ schwenken?

Opelt: Genau, das entschärft die Situation meistens. Ganz wichtig ist auch, dass man den anderen nicht abwertet. Zum Streit kommt es immer, wenn der andere schlecht gemacht wird.

Frage: Was mache ich, wenn ich ein Familienmitglied habe, bei dem nur die eigene Meinung zählt?

Opelt: Das ist oft ein Thema in den Familientherapien, dass es einen Tyrannen gibt und der will immer Recht haben. Da ist oft die Strategie der anderen, dass man mit ihm eben nicht diskutiert. Man kann ihn nicht von seiner Meinung abbringen. Man kann ihm auch nicht das Gegenteil beweisen, weil er nicht zuhört. Die beste Strategie, ein unerwünschtes Verhalten zum Verschwinden zu bringen, ist, es zu ignorieren.

Frage: Wie geht man damit um, wenn jemand eine politische Meinung vertritt, die sonst niemand in der Familie vertritt?

Opelt: Man kann immer schweigen. Wenn ich nicht widerspreche, ist die Sache gelöst. Es ist aber auch möglich, Kritik diplomatisch-positiv zu formulieren oder Gegenfragen wie „Was meinst du?“ zu stellen. Eine Technik in der Psychologie ist das Spiegeln. Man hört zu und wiederholt dann, was der andere gesagt hat: „Jetzt verstehe ich, du meinst also, dass …“ Damit ist mein Gesprächspartner zufrieden. Ich habe ihn verstanden und widerspreche ihm auch nicht. Damit kann ich jeden Konflikt stoppen.

Frage: Wenn man anderer Meinung ist, sollte man trotzdem nicht widersprechen?

Opelt: Das man anderer Meinung ist, muss man nicht hervorkehren. Man hat die strategische Wahl zu sagen, jetzt bring ich ihn auf die Palme und schmeiße der Person meine gegenteilige Meinung zurück. Dann provoziere ich aber. Das ist manchmal notwendig. Ich kann jemanden mit Provokation vom Familientisch verjagen. Oder man kann vom Thema ablenken, um den Frieden zu wahren. Es kommt darauf an, was man erreichen will.

Frage: Was macht man, wenn man einen Provokateur in der Familie hat?

Opelt: Das sind die sogenannten Besserwisser. Die politische Meinung ist nur Mittel zum Zweck. Diese Personen wollen sich einfach nur großartig fühlen. Denen muss man schon Grenzen setzen. Da kann man mit Fakten kontern und mit Wissen widerlegen. Oft ist es nur Halbwissen, das diese Personen glauben möchten. Da ist oft nichts dahinter. Es ist meist nur ein Luftballon, in den man nur hineinstechen muss. Dann platzt er.

Frage: Was kann ein junger Mensch machen, der wegen politischer Diskussionen mit seinen Eltern im Streit ist?

Opelt: In den Pubertätsdiskussionen werden die politischen Diskussionen oft verwendet, um sich von den Eltern zu distanzieren. Der Konflikt zwischen den jungen Grünen und Eva Glawischnig war ein typischer Pubertätskonflikt, nur dass sich Glawischnig auch sehr pubertär verhalten hat. (lacht) Was es in der Vergangenheit gegeben hat, dass man sein Kind wegen der politischen Einstellungen vor die Tür setzt, das gibt es seit 50 Jahren nicht mehr. Außer eben bei den Grünen. (lacht)

Frage: Braucht es in der Politik junge Menschen, die mit den alten politischen Vorstellungen brechen?

Opelt: Ja. Die Aufgabe der Erfahrenen ist es, diese zu integrieren und nicht, sie zu verstoßen. Eine Partei, die sich Demokratie auf die Fahnen heftet, darf sich nicht so undemokratisch verhalten und einfach Parteiausschlüsse verhängen.

Fünf Tipps für eine gute Diskussionskultur:

  1. Zuhören
  2. Verstehen
  3. Gemeinsames suchen
  4. Nicht abwerten
  5. Grenzen setzen, aber nur wenn nötig

Frage: Sollte man den Jungen in der Politik mehr Chancen geben, auch wenn der Ansatz ein anderer ist?

Opelt: Man kann deutlich machen, dass es nicht die Parteilinie ist. Aber das ist ja meistens so. Die SPÖ-Jugend hat immer schon auf die Partei geschimpft. Josef Cap, der heute Nationalratsabgeordneter der SPÖ ist, war einer der großen Rebellen im VSSTÖ (Verband Sozialistischer Studenten Österreichs). Kreisky wäre nie auf die Idee gekommen, ihn auszuschließen, weil er so frech war.

Frage: Ist es die Aufgabe der Jugend, frech zu sein?

Opelt: Die Jungen müssen protestieren dürfen und sagen können, dass sie etwas anderes wollen. Nach zehn Jahren bekommen sie auch die Gelegenheit, es zu probieren. Irgendwann kommen sie ans Ruder und setzen dann Vieles um.

 

In unserem Video-Bericht erzählen junge Menschen von ihren Erfahrungen in der Familie. Rüdiger Opelt fasst die fünf besten Tipps zusammen:

Interview & Video:
Cornelia Grotte

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Über’s Sterben reden

Unheilbar kranke Menschen haben meist nicht mehr viel Zeit. Darum schenken ihnen Evelyn Schwarz und Josef Hinterberger die ihre. Die beiden sind Seelsorger und begleiten Todkranke in ihrer schwersten Zeit. Wir haben gefragt, was sie antreibt.

Josef Hinterbergers Sandalen berühren geräuschlos den Boden. Nur manchmal knirscht der Schotter unter seinen Füßen. „Die Kirche befindet sich im Zentrum des Krankenhausgeländes. Das ist historisch so gewachsen“, erklärt er und schaut die beiden Kirchtürme empor. Mit langsamen, bedächtigen Schritten schlendert der weißhaarige, hagere Mann über die Straße vor der Pfarrkirche. „Heute steht bei uns der Mensch im Mittelpunkt“, sagt er.

„Wer bin ich, dass ich jemanden trösten könnte, der bald stirbt?“

Seit 30 Jahren arbeitet der 64-Jährige als Seelsorger im Landeskrankenhaus Salzburg. Der Pastoralassistent hat sein Leben einmal der Kirche verschrieben. „Heute muss ich sie oft hinter mir lassen“, sagt er. In Zeiten, in denen immer weniger Menschen an Gott glauben, betet er seltener mit ihnen. Er hört zu.

Macht Angebote, wie er sagt. „Wenn ein Mensch sehr traurig ist, weil er weiß, dass er nicht mehr lange leben darf, dann sage ich: ‚Schauen Sie, Sie haben so eine Sehnsucht nach dem Leben. Und Sie sind immer noch da‘.“ Darauf könne der Patient eingehen oder nicht. Ihn zu trösten wäre ohnehin unmöglich, meint er: „Wer bin ich, dass ich jemanden trösten könnte, der bald stirbt?“

Mehr als 80.000 Menschen sterben jedes Jahr in Österreich. Die meisten in einem Krankenhaus oder Heim. Auf der Palliativ-Station oder in einem Hospiz geht es nicht mehr darum, Menschen zu heilen. Die Patienten werden dort so behandelt, dass sie ein möglichst schmerzfreies und würdevolles restliches Leben haben können. Meist sind es Menschen mit Krebserkrankungen, die hierher kommen. Doch auch viele andere Krankheiten sind vertreten.

Gerade bei jungen Patienten sei es schwierig. „So unerwartet aus dem Leben gerissen zu werden, ist natürlich besonders dramatisch“, erzählt Hinterberger. Auch nach 30 Jahren gehen ihm solche Fälle noch sehr nahe. Das Seelsorge-Team bekommt eine Supervision, in der solche emotionalen Angelegenheiten aufgearbeitet werden. „Aber wenn mich so etwas kalt lassen würde, dann müsste ich aufhören“, sagt er. Dennoch: Selten lacht Hinterberger so oft und ausgiebig wie mit seinen Kollegen in der Pfarre des Landeskrankenhauses. Man müsse jeden Patienten nach dem Gespräch „emotional zurücklassen“, um sich auf den nächsten einzustellen. Und um sein eigenes Leben leben zu können.

So viele Menschen sterben pro Bundesland in Krankenhäusern und Heimen.

Nicht nur für die Patienten ist die Seelsorge wichtig. Auch ihre Angehörigen brauchen Unterstützung. Besonders schwer sei es, wenn der Patient verstanden hat, dass er sterben wird; die Angehörigen aber noch nicht. „Den Tod zu akzeptieren ist ein langer Weg“, sagt Hinterberger. „Diesen Weg gehe ich mit ihnen mit.“ Und das wird angenommen. Die wenigsten Patienten auf der Palliativ-Station lehnen eine Seelsorge ab. „Das schönste Erlebnis hatte ich einmal mit einer Putzfrau der Station, die nicht Deutsch konnte. Sie hat oft das Zimmer geputzt, während ich mit Patienten gesprochen habe. Irgendwann wurde sie von einer Kollegin vertreten, die Deutsch sprach. Diese sagte mir: ‚Ah, Sie sind der, der den Menschen gut tut. Die Kollegin erkennt das immer an den Gesichtern.“ Es sei für Hinterberger sehr schön, so wahrgenommen zu werden.

Die Palliativ-Krankenschwestern (v.l.) Eva-Maria Köck und Karin Winkler arbeiten eng mit Seelsorger Hinterberger zusammen.

Er zeigt auf ein Gebäude neben dem Park. Umgeben von alten Bäumen, die das Dach des vierstöckigen Komplexes noch weit überragen. Die Palliativ-Station. Mitten im Krankenhausgelände, aber doch eine Insel nur für sich alleine. Vor der Tür wurde eine idyllische Sonnenterrasse aus dicken Holzbrettern für die Patienten erbaut, die von Grünpflanzen umgeben ist, deren Blätter über die Holzwände hängen. Mehr als 1.100 Menschen sind stationär im Landeskrankenhaus Salzburg untergebracht. Aber hier darf niemand hin, außer den Palliativ-Patienten. So sind sie vollkommen ungestört. „Hier ist alles sehr entschleunigt“, sagt Krankenschwester Karin Winkler, die hier gerade Dienst hat. Die Menschen sind oft schwach und brauchen viel Ruhe. „Wir wissen natürlich nicht, wie die Patienten waren, bevor sie zu uns gekommen sind“, sagt sie, „aber ich glaube jeder stirbt so, wie er gelebt hat. Die Menschen verändern sich nicht grundlegend, wenn der Tod vor der Tür steht.“

Mut zur Trauer geben

Im Tageshospiz in der Salzburger Buchholzhofstraße arbeitet die 53-jährige Evelyn Schwarz ehrenamtlich. Sie kocht für die Patienten, die sie nur „Besucher“ nennt. Überzieht manchmal ihre Betten. Aber den Großteil des Tages verbringt sie als Zuhörerin und Seelsorgerin. „Ich möchte den Sterbenden Mut zur Trauer geben“, sagt sie. Trauer und Wut seien Tabuthemen in unserer Gesellschaft. Wie wichtig ein offener Umgang damit ist, musste sie schon als Kind erfahren. Ihre Mutter starb an Krebs, als Schwarz 15 Jahre alt war. „Sicher einer der Gründe, weshalb ich jetzt im Hospiz arbeite“, verrät sie.

Die ehrenamtliche Helferin Evelyn Schwarz in einem der vielen Ruhesessel, in denen sie oft mit ihren „Besuchern“ spricht.

Voraussetzung für die ehrenamtliche Mitarbeit in einem Hospiz ist ein Lehrgang für Lebens-, Sterbe- und Trauerbegleitung. Dieser kostet etwa 1.000 Euro; erstreckt sich auf vier Blöcke über jeweils mehrere Tage und endet in einem 40-stündigen Pflege- und einem ebenso langen Hospiz-Praktikum. Die Kosten bekommen Ehrenamtliche nach einiger Zeit im Hospiz teilweise wieder rückerstattet. Dennoch glaubt Schwarz: „Ehrenamt muss man sich leisten können. Man darf niemanden verurteilen, der keine Zeit dafür findet. Manchen Menschen fehlt auch einfach das Geld dafür.“ Durchschnittlich zwei Mal im Monat ist sie einen Tag lang bei ihren Besuchern. Hört zu, ohne zu urteilen. Ist einfach da.

Im Salzburger Tageshospiz werden Patienten versorgt und am Abend wieder nach Hause gebracht.

Im Salzburger Tageshospiz werden Patienten versorgt und am Abend wieder nach Hause gebracht. (alle Fotos: Markus Feigl)

Durch den Umgang mit todkranken Menschen sehe man vieles gelassener. Bemerke, wie klein und unwichtig manche Probleme seien. Sie sagt: „Wir begleiten Menschen mit einer Krankheit. Nicht kranke Menschen. Der Mensch steht im Vordergrund. Und das tut den Besuchern bei uns sehr gut.“ Diese Ansicht teilt sie mit Josef Hinterberger, der nun im Krankenhauspark steht, die Arme hinter dem Rücken kreuzt und wieder auf die beiden Kirchtürme blickt. Heute macht er seine Arbeit für die Menschen. Am Anfang, vor 30 Jahren, waren die Gründe noch egoistischer, verrät er: „Ich wollte dem Tod auf die Finger schauen. Wollte mir ansehen, was er mit Menschen macht. Dieses Geheimnisvolle. Dieses Abgründige. Das wollte ich erkunden.“ Er geht ein paar Schritte. Dreht sich wieder langsam um. Sagt: „Ich bin dem Tod bis heute nicht auf die Spur gekommen. Er ist immer noch ein Mysterium für mich.“

Autor:
Markus Feigl

Posted by Gerhard Rettenegger in Soziales, 0 comments