Ich trete der Zero Waste-Bewegung bei

Wie ich eine Pizza aus verpackungsfreien Zutaten backe und versuche keinen Abfall zu verursachen. Ein Selbstversuch.

Ein Berg aus Plastik, Karton und Zellophan liegt in meiner Küche. Das Verpackungsmaterial wird nun, nach dem Transport vom Supermarkt in meine Wohnung, ein schnelles Ende im Mistkübel unter meinem Waschbecken finden. Beinahe alles, was wir kaufen, besitzen und essen war irgendwann einmal in einer Verpackung. Ich schäme mich dafür, so viel Müll bei jedem Einkauf zu verursachen und will der Verschwendung ein Ende setzen.

 

 

Laut Zahlen von Eurostat entsorgt jeder Österreicher 560 Kilogramm Haushaltsmüll pro Jahr. Das sind 84 Kilogramm mehr als im EU-Schnitt. Dänemark hat das höchste Müllaufkommen pro Kopf, Österreich liegt beim "Mist machen" an siebenter Stelle. Das Umweltbundesamt misst regelmäßig Abfallströme: In Österreich fallen jährlich 1,3 Millionen Tonnen Verpackungsabfall an. Der österreichische Abfallwirtschaftsplan sieht als oberste Maßnahme vor, Müll zu vermeiden, trotzdem stieg das Müllaufkommen in privaten Haushalten und in Gemeinden in den letzten Jahren an.

Ich beschließe, für einen Tag lang der Zero Waste-Bewegung beizutreten. Zero Waste bedeutet, dass Menschen keinen Müll verursachen. Sie kaufen nur unverpackte Produkte. Wenn sie einkaufen, füllen sie Lebensmittel in eigens mitgebrachte Gläser, Boxen und Stofftaschen, die wiederverwendbar sind. So entsteht kein Müll. Die Gründlichsten rühren sich selbst Kosmetika an und verwenden waschbare Wattepads. Ich möchte nicht so rigoros beginnen und werde für diesen Selbstversuch zum ersten Mal verpackungsfrei einkaufen und eine Pizza backen.

Der Greißler spart Zeit und Geld

Ein Mann, der keinen Abfall verursacht, ist Alexander Obsieger. Er ist Inhaber von "Der Greißler - unverpackt. ehrlich.", einem der wenigen verpackungsfreien Geschäfte in Wien. Obsieger ist Mitte Zwanzig, seine Füße stecken in schwarzen Socken und schwarzen Birkenstock-Schlapfen, während er im hinteren Teil seines Ladens Butterbrote schmiert.

 

 

Seine These: Er spart Zeit und Geld, weil er jedes Produkt durch ein verpackungsfreies ersetzt hat. Ein Regal-Labyrinth aus unzähligen Duschgels, Zahnpasten und Reinigungsmitteln raube ihm die meiste Zeit. "Der Drogeriemarkt ist voll mit unnötigem Zeug", sagt Obsieger, der selbst mit Essig putzt, wie einst seine Oma es tat. Das Geschäft ist verpackungsfreie Zone und umfasst Lebensmittel und Alltägliches wie Zahnbürsten, Zahnputzpulver und lose Toilettenpapierrollen.

Aus hygienischen Gründen öffnet nur er die Gläser mit der Lebensmittelware und befüllt die mitgebrachten Behältnisse für seine Kunden. Obsieger begann vor einem Jahr abrupt müllfrei zu leben. Am schwierigsten sei es, kein Essen mehr zu bestellen, das zu 100 Prozent in Plastik daherkäme. Mittlerweile holt er seine Mahlzeiten selbst aus den Restaurants ab und lässt alles in sein mitgebrachtes Tupperware Geschirr einpacken. An das letzte Produkt, das er in einer Verpackung gekauft hat, könne er sich gar nicht mehr erinnern, sagt Obsieger.

Ich kaufe eine Rolle unverpacktes Toilettenpapier bei ihm und lasse mir die Rechnung per E-Mail schicken. 1,20 Euro. Kein Müll. Das fühlt sich gut an. Ich bin noch skeptisch, aber Zeit sparen und die Umwelt schonen, das will ich auch. Während mein Lebensgefährte Cola aus Pet-Flaschen trinkt und Toast aus Plastikfolie isst, stelle ich fest, dass ich kaum Lebensmittel vorrätig habe, die nicht aus einer Kunststoff- oder Kartonverpackung stammen. In meinem Haushalt fallen speziell in der Küche die meisten Verpackungsabfälle, vor allem aus Plastik, an. Das muss sich ändern.

Österreich fällt zurück

In Österreich stieg die Abfallmenge von Kunststoffverpackungen zwischen 2011 und 2014 um 27.800 Tonnen. Die Quote der Kunststoffverwertung liegt im langjährigen Mittel zwischen 33 und 35 Prozent. In Deutschland bei 50 Prozent. Dr. Marion Huber-Humer, Leiterin am Institut für Abfallwirtschaft an der BOKU in Wien, sieht den Vergleich von Statistiken und Zahlen in der Abfallwirtschaft als schwierig: "Jedes Land zählt anders". Aber grundsätzlich ließen sich Österreich und Deutschland gut vergleichen. Die Deutschen haben ein besseres System zur sortenreinen Rücknahme, deswegen ist die Recycling-Quote von Kunststoffen in Deutschland höher.

 

Eine Arbeitsgruppe der Europäischen Union, die IG Plastics, schlägt sieben Strategien im Umgang mit Kunststoffen vor, die wichtigsten Punkte sind:

  • Vermeidung von Wegwerfverpackungen wie Einmal-Kaffee-Becher
  • Getrenntsammelsysteme zur sortenreinen Sammlung
  • Pfandsysteme, vor allem für Plastikflaschen
  • Bio-Kunststoffe gelten als nicht umweltfreundlich

Huber-Humer: "Viele Bio-Plastikfolien sind Marketing-Gags", sie selbst wisse oft nicht, aus welchen Stoffen sich die Folien zusammensetzen und müsse diese im eigenen Labor testen. Die EU deklariert Bio-Kunststoffe aus Mais, Zuckerrohr oder Kartoffeln als keine umweltfreundliche Alternative. Tragtaschen aus Papier schneiden allerdings auch nicht besser ab, als das gewöhnliche Plastiksackerl. Seit 20 Jahren kennt Huber-Humer die Diskussion zum Verbot von Einweg-Verpackungen bei Lebensmitteln. Sie selbst wählt, wenn möglich, immer das verpackungsfreie Produkt. "So wie unser Leben abläuft, ist die Zero Waste Idee für den Normalverbraucher kaum machbar und ein ständiger Verzicht. Es ist ein schönes Ziel, aber nur wenigen vorbehalten", sagt Huber-Humer.

Ich hole meine leeren Marmeladen und Rexgläser aus dem Küchenkasten und packe sie in meine Einkaufstasche aus Stoff. Der Laden mit der größten Auswahl an unverpackten Lebensmitteln, ist Lunzers Maß-Greißlerei im zweiten Wiener Gemeindebezirk. Mein Rad mit Einkaufskorb am Gepäcksträger erweist sich als praktisch, mir fällt erst im Stiegenhaus auf, wie schwer die Gläser in meinen Stofftaschen sind.

 

 

Die Greißlerin mit Disziplin

Wer bei Agnes Ruby-Lamsal einkauft, verursacht keinen Verpackungsabfall. Sie trägt ein knallpinkes Shirt, hat braune Haare und arbeitet 40 Stunden in der Woche bei Lunzers Maß-Greißlerei. Sie selbst lebt fast verpackungsfrei. Zero Waste war in ihrem Fall ein langsamer Prozess. "Manchmal siegt die Trägheit über die Disziplin", sagt die 28-Jährige und legt Äpfel im Stoffsackerl und danach Mehl im Glas auf die Waage.

 

 

Die Greißlerei hat wenig von einem Supermarkt. Auf einem großen Tisch stehen viele Gläser mit Schraubverschluss und kleinen Schaufeln, an der Wand hängen längliche Spender mit Hebeln. Die Preise sind in Kilogramm ausgeschrieben. Meine mitgebrachten Gläser werden leer gewogen und die Tara auf Etiketten notiert.

 

 

Mein Gefäß hat nicht die ideale Breite für die Mehlschaufel, deswegen benutze ich einen Metalltrichter, um das Mehl einzufüllen. Die Nüsse mit Schokoüberzug fallen senkrecht in mein Schraubglas, nachdem ich den Hebel drücke. Wenn ein Kunde zu viel in sein eigenes Glas abfüllt, darf die überschüssige Ware nicht wieder in die Spender zurückgeleert werden - der Hygiene wegen. Salz, Pfeffer und Kaffee lasse ich mit Hilfe einer Schaufel in meine Gläser rieseln.

 

 

Im Zero Waste-Geschäft kann ich über die Kaufmenge frei entscheiden. Ich fülle mir nur zwei Löffel Zucker in ein Gläschen, denn ich brauche nicht mehr. Das kostet 17 Cent. Die Gläser und Spender werden regelmäßig per Hand gereinigt und müssen dabei in alle Einzelteile zerlegt werden. "Das ist irre viel Arbeit, man ist ständig beim Putzen und Auffüllen", sagt Ruby-Lamsal. Für ihren Eigengebrauch fertigt sie selbst Cremes, Deodorant und sogar Zahnpasta an. "Geschälte Bananen in einer Plastiktasse sind unnötiger Müll", ärgert sich Ruby-Lamsal über den achtlosen Umgang mit Ressourcen.

 

 

Die Suche nach Lieferanten, die mit Pfandsystem oder im Großgebinde liefern, gestaltet sich schwierig. Deswegen ist das Sortiment bei Lunzers begrenzt. Die Gemüseabteilung ist überschaubar und die Produkte sind ehrlich: Am Salat klebt noch etwas Erde und am Tablett mit Cherrytomaten finde ich ein paar verschrumpelte und zwei leicht faule - ich wähle die schönsten aus.

 

 

Der Hartkäse in der Vitrine sieht trocken aus. Ich kaufe ihn trotzdem. Im hinteren Bereich stehen Milch, Joghurt und Säfte sowie Essig und Öle. Ich entscheide mich für Rotweinessig und lasse die Flüssigkeit aus einem runden Metallfass in meine Glasflasche fließen. Da ich ein Fläschchen zu wenig mitgebracht habe, kaufe ich ein Lunzers-Behältnis um knapp drei Euro und fülle es randvoll mit Olivenöl. Hefe für den Germteig gibt es nicht.

 

 

"Die Maß-Greißlerei ist eine tolle Idee, sagt Agnes Ruby-Lamsal, ich beobachte Menschen im Supermarkt, die ihr eigenes Doserl hinhalten und sagen: Bitte da rein“. Ohne Fließband und Barcode-Scan dauert die Bezahlung um einiges länger, als in einem konventionellen Supermarkt. Ich bezahle 51,54 Euro. Jetzt muss ich meine glasverpackten Waren heil nach Hause fahren. Das dauert 25 Minuten. Mein erster verpackungsfreier Einkauf hat 90 Minuten länger gedauert als im Supermarkt.

 


 

Während die Pizza im Ofen backt, vergleiche ich die Preise der beiden Einkäufe aus dem Supermarkt und aus der Greißlerei. Um ein realistisches Bild zu erhalten, habe ich in beiden Geschäften ähnliche Produktarten gekauft: Im Zero Waste-Geschäft nur Bio-Produkte, während ich im Supermarkt häufig zu Nicht-Bio-Produkten gegriffen habe, da ich mein typisches Supermarkt-Kaufverhalten als Maßstab genommen habe. Umgerechnet auf ganze Kilogramm und Liter, habe ich bei Lunzers um 26 Prozent mehr ausgegeben als in meinem Stamm-Markt. Bei Lunzers war der Geschmack von Milch, Tomaten und dem Olivenöl besser. Zwiebel und Knoblauch waren frischer. Der Käse war ausgetrocknet und hat mich enttäuscht.

 


 

Die Pizza schmeckt, dennoch bin ich gescheitert. Ich habe den organischen Abfall, wie Zwiebelschalen, nicht kompostiert, sondern in den Restmüll geworfen und somit Müll verursacht. Einen Tag lang habe ich verpackungsfrei gegessen und getrunken und es hat sich herausgestellt, dass Verpacken mit Maß und Ziel sinnvoll ist, um Produkte frisch zu halten. Spätabends habe ich mir noch einen Tee mit einem Aufgussbeutel gekocht. Faulheit siegte über Vorsatz. Weltverbessern war eben noch nie schnell und billig.

 

alle Fotos: Lisi Niesner

Autorin:
Lisi Niesner

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