Unheilbar kranke Menschen haben meist nicht mehr viel Zeit. Darum schenken ihnen Evelyn Schwarz und Josef Hinterberger die ihre. Die beiden sind Seelsorger und begleiten Todkranke in ihrer schwersten Zeit. Wir haben gefragt, was sie antreibt.
Josef Hinterbergers Sandalen berühren geräuschlos den Boden. Nur manchmal knirscht der Schotter unter seinen Füßen. „Die Kirche befindet sich im Zentrum des Krankenhausgeländes. Das ist historisch so gewachsen“, erklärt er und schaut die beiden Kirchtürme empor. Mit langsamen, bedächtigen Schritten schlendert der weißhaarige, hagere Mann über die Straße vor der Pfarrkirche. „Heute steht bei uns der Mensch im Mittelpunkt“, sagt er.
„Wer bin ich, dass ich jemanden trösten könnte, der bald stirbt?“
Seit 30 Jahren arbeitet der 64-Jährige als Seelsorger im Landeskrankenhaus Salzburg. Der Pastoralassistent hat sein Leben einmal der Kirche verschrieben. „Heute muss ich sie oft hinter mir lassen“, sagt er. In Zeiten, in denen immer weniger Menschen an Gott glauben, betet er seltener mit ihnen. Er hört zu.
Macht Angebote, wie er sagt. „Wenn ein Mensch sehr traurig ist, weil er weiß, dass er nicht mehr lange leben darf, dann sage ich: ‚Schauen Sie, Sie haben so eine Sehnsucht nach dem Leben. Und Sie sind immer noch da‘.“ Darauf könne der Patient eingehen oder nicht. Ihn zu trösten wäre ohnehin unmöglich, meint er: „Wer bin ich, dass ich jemanden trösten könnte, der bald stirbt?“
Mehr als 80.000 Menschen sterben jedes Jahr in Österreich. Die meisten in einem Krankenhaus oder Heim. Auf der Palliativ-Station oder in einem Hospiz geht es nicht mehr darum, Menschen zu heilen. Die Patienten werden dort so behandelt, dass sie ein möglichst schmerzfreies und würdevolles restliches Leben haben können. Meist sind es Menschen mit Krebserkrankungen, die hierher kommen. Doch auch viele andere Krankheiten sind vertreten.
Gerade bei jungen Patienten sei es schwierig. „So unerwartet aus dem Leben gerissen zu werden, ist natürlich besonders dramatisch“, erzählt Hinterberger. Auch nach 30 Jahren gehen ihm solche Fälle noch sehr nahe. Das Seelsorge-Team bekommt eine Supervision, in der solche emotionalen Angelegenheiten aufgearbeitet werden. „Aber wenn mich so etwas kalt lassen würde, dann müsste ich aufhören“, sagt er. Dennoch: Selten lacht Hinterberger so oft und ausgiebig wie mit seinen Kollegen in der Pfarre des Landeskrankenhauses. Man müsse jeden Patienten nach dem Gespräch „emotional zurücklassen“, um sich auf den nächsten einzustellen. Und um sein eigenes Leben leben zu können.
Nicht nur für die Patienten ist die Seelsorge wichtig. Auch ihre Angehörigen brauchen Unterstützung. Besonders schwer sei es, wenn der Patient verstanden hat, dass er sterben wird; die Angehörigen aber noch nicht. „Den Tod zu akzeptieren ist ein langer Weg“, sagt Hinterberger. „Diesen Weg gehe ich mit ihnen mit.“ Und das wird angenommen. Die wenigsten Patienten auf der Palliativ-Station lehnen eine Seelsorge ab. „Das schönste Erlebnis hatte ich einmal mit einer Putzfrau der Station, die nicht Deutsch konnte. Sie hat oft das Zimmer geputzt, während ich mit Patienten gesprochen habe. Irgendwann wurde sie von einer Kollegin vertreten, die Deutsch sprach. Diese sagte mir: ‚Ah, Sie sind der, der den Menschen gut tut. Die Kollegin erkennt das immer an den Gesichtern.“ Es sei für Hinterberger sehr schön, so wahrgenommen zu werden.
Er zeigt auf ein Gebäude neben dem Park. Umgeben von alten Bäumen, die das Dach des vierstöckigen Komplexes noch weit überragen. Die Palliativ-Station. Mitten im Krankenhausgelände, aber doch eine Insel nur für sich alleine. Vor der Tür wurde eine idyllische Sonnenterrasse aus dicken Holzbrettern für die Patienten erbaut, die von Grünpflanzen umgeben ist, deren Blätter über die Holzwände hängen. Mehr als 1.100 Menschen sind stationär im Landeskrankenhaus Salzburg untergebracht. Aber hier darf niemand hin, außer den Palliativ-Patienten. So sind sie vollkommen ungestört. „Hier ist alles sehr entschleunigt“, sagt Krankenschwester Karin Winkler, die hier gerade Dienst hat. Die Menschen sind oft schwach und brauchen viel Ruhe. „Wir wissen natürlich nicht, wie die Patienten waren, bevor sie zu uns gekommen sind“, sagt sie, „aber ich glaube jeder stirbt so, wie er gelebt hat. Die Menschen verändern sich nicht grundlegend, wenn der Tod vor der Tür steht.“
Mut zur Trauer geben
Im Tageshospiz in der Salzburger Buchholzhofstraße arbeitet die 53-jährige Evelyn Schwarz ehrenamtlich. Sie kocht für die Patienten, die sie nur „Besucher“ nennt. Überzieht manchmal ihre Betten. Aber den Großteil des Tages verbringt sie als Zuhörerin und Seelsorgerin. „Ich möchte den Sterbenden Mut zur Trauer geben“, sagt sie. Trauer und Wut seien Tabuthemen in unserer Gesellschaft. Wie wichtig ein offener Umgang damit ist, musste sie schon als Kind erfahren. Ihre Mutter starb an Krebs, als Schwarz 15 Jahre alt war. „Sicher einer der Gründe, weshalb ich jetzt im Hospiz arbeite“, verrät sie.
Voraussetzung für die ehrenamtliche Mitarbeit in einem Hospiz ist ein Lehrgang für Lebens-, Sterbe- und Trauerbegleitung. Dieser kostet etwa 1.000 Euro; erstreckt sich auf vier Blöcke über jeweils mehrere Tage und endet in einem 40-stündigen Pflege- und einem ebenso langen Hospiz-Praktikum. Die Kosten bekommen Ehrenamtliche nach einiger Zeit im Hospiz teilweise wieder rückerstattet. Dennoch glaubt Schwarz: „Ehrenamt muss man sich leisten können. Man darf niemanden verurteilen, der keine Zeit dafür findet. Manchen Menschen fehlt auch einfach das Geld dafür.“ Durchschnittlich zwei Mal im Monat ist sie einen Tag lang bei ihren Besuchern. Hört zu, ohne zu urteilen. Ist einfach da.
Durch den Umgang mit todkranken Menschen sehe man vieles gelassener. Bemerke, wie klein und unwichtig manche Probleme seien. Sie sagt: „Wir begleiten Menschen mit einer Krankheit. Nicht kranke Menschen. Der Mensch steht im Vordergrund. Und das tut den Besuchern bei uns sehr gut.“ Diese Ansicht teilt sie mit Josef Hinterberger, der nun im Krankenhauspark steht, die Arme hinter dem Rücken kreuzt und wieder auf die beiden Kirchtürme blickt. Heute macht er seine Arbeit für die Menschen. Am Anfang, vor 30 Jahren, waren die Gründe noch egoistischer, verrät er: „Ich wollte dem Tod auf die Finger schauen. Wollte mir ansehen, was er mit Menschen macht. Dieses Geheimnisvolle. Dieses Abgründige. Das wollte ich erkunden.“ Er geht ein paar Schritte. Dreht sich wieder langsam um. Sagt: „Ich bin dem Tod bis heute nicht auf die Spur gekommen. Er ist immer noch ein Mysterium für mich.“
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Autor:
Markus Feigl